Gedenkkundgebung und Mahnwache anlässlich des 73. Jahrestages der Reichspogromnacht,
8. November 2011
Im Namen der Veranstalterkreises, der Jüdischen Gemeinde Hamburg, der Universität Hamburg und der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes Bund der Antifaschisten begrüße ich Sie zur Gedenkkundgebung und Mahnwache anlässlich des 73. Jahrestages der Reichspogromnacht, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 stattfand.
… Wir treffen uns an diesem Ort, weil hier bis zum 9. November 1938 die große Bornplatz-Synagoge stand. In der Nacht vom 9. Auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge geschändet und die Inneneinrichtung zerstört, später wurde im Inneren Feuer gelegt.
Dieser Platz ist seit 1989 nach dem letzten Rabbiner der Bornplatz-Synagoge, dem weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannten und verehrten Oberrabbiner Dr. Josef Carlebach benannt. In jener Nacht wurden in Hamburg, wie überall im nationalsozialistischen Deutschland, die Synagogen geschändet und jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört und geplündert. Juden und Jüdinnen wurden auf den Straßen misshandelt, öffentlich gedemütigt, zur Schau gestellt und einige ermordet. Allein hier in Hamburg wurden 1000 Menschen im Laufe dieser Nacht und in den darauf folgenden Tagen verhaftet und in die Konzentrationslager Fuhlsbüttel und Sachsenhausen deportiert. Nicht wenige kamen der Verhaftung durch Selbstmord zuvor. Für die von SA-Horden und Mitläufern verübten Zerstörungen und Sachbeschädigungen wurde den Hamburger jüdischen Gemeinden und Bürgern eine Sühnezahlung von 1 Milliarde RM aufgezwungen. In der Zeit nach der Pogromnacht eskalierte die Verfolgung jüdischer Bürger durch die Staatsmacht : Juden waren von fast jeder Form des öffentlichen Lebens ausgeschlossen, sie wurden Zug um Zug ihres Vermögens beraubt und gezwungen, ihren Grundbesitz zu verkaufen. Jüdische Kinder wurden vom Besuch allgemein bildender Schulen ausgeschlossen, sie durften nur noch jüdische Schulen besuchen. Ab 30.Juni 1942 wurde die Beschulung jüdischer Kinder ganz eingestellt, die jüdische Mädchenschule Karolinenstrasse wurde geschlossen. Die dem Bornplatz benachbarte Talmud Tora schule wurde schon im Frühjahr 1940 geschlossen.
Dies konnte nur geschehen, weil die gesamte Opposition gegen Hitler von Kirche bis KPD gleich 1933 eliminiert oder in die Illegalität getrieben wurde.
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1989 hatten wir die Gedenkveranstaltung der Reichspogromnacht dem Kampf um das Bleiberecht für Roma und Cinti gewidmet, weil die Besetzung des Klinkerwerks auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme durch eine große Gruppe gegen ihre drohende Abschiebung protestierende Roma kurz vorher auf Befehl des 2. Bürgermeisters Ingo von Münch mit Polizeigewalt beendet worden war. Einwänden gegen diese vorgebliche Instrumentalisierung der Gedenkveranstaltung begegnete insbesondere Esther Bejarano, die mit großer Entschiedenheit erklärte: Die Lebenden müssen geschützt werden. Damals waren wir mit mehreren tausend Menschen in einem großen Bus- und Autokorso nach Neuengamme gefahren und hatten im Klinkerwerk unsere Kundgebung anlässlich der Pogromnacht abgehalten und dort in diversen Reden beschrieben, wie schwer es diese Stadt ihrer Roma- und Cinti-Bevölkerung zu den unterschiedlichen Zeiten gemacht hat..
Auch aktuell werden wieder Roma aus Hamburg in die Länder Ex-Jugoslawiens abgeschoben. Seit Bekanntwerden dieser Bedrohung haben wir immer wieder in Briefen und Aktionen gegen die drohenden Abschiebungen protestiert. Mittlerweile sind einige Abschiebungen nach Ablehnung entsprechender Einzelpetitionen vollzogen worden, weitere stehen direkt bevor. Das dürfen wir nicht hinnehmen, es ist unsere Pflicht, gegen jede einzelne dieser Abschiebungen zu protestieren.
Als nächstes spricht zu uns Wolfgang Rose, Landesbezirksleiter ver.di Hamburg und Mitglied SPD-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft, zu deren Gunsten er uns heute leider frühzeitig verlassen wird. Deshalb sollten wir ihn bitten, dort auszurichten bzw. zu bekräftigen, heute oder zu einem anderen Zeitpunkt, was Steffi Wittenberg bereits am 31.10.2011 an den Ersten Bürgermeister schrieb:
Warum geben wir notleidenden Menschen nicht die Chance sich bei uns zu entwickeln und einen unbeschränkten Aufenthalt zu finden?
Die Vorstellung, wie diese Immigranten aus ihrer jetzigen Umgebung herausgerissen und ins Ungewisse abgeschoben werden, tut mir in der Seele weh. Als ehemalige jüdisch Verfolgte aus Hamburg die angesichts der Verfolgung durch Nazideutschland 1940 mit ihrer Familie in Uruguay aufgenommen wurde, berühren mich diese Abschiebungen besonders. Ich habe den Eindruck Deutschland fühlt sich stark und hat aus seiner Geschichte zu wenig gelernt.
Ich hätte gerade von einer SPD Regierung meiner Heimatstadt erwartet, dass sie alles daran setzt den bei uns Zuflucht suchenden Menschen eine sichere Bleibe und Zukunftsaussicht zu gewähren.
Es wäre gut, wenn die Freie und Hansestadt Hamburg alles dazu tun würde, damit sich die gegenwärtige Einwanderungspolitik gerade Sinti und Roma gegenüber positiv in Sinne des Humanismus ändert.
Ist Ihnen nicht auch schon einmal aufgefallen, wie untrennbar gerade dieser Stadtteil mit dem Schicksal jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Hamburg verbunden ist? Schauen Sie sich um, in diesen schönen, ehrwürdigen Altbauten haben sehr viele jüdische Hamburgerinnen und Hamburger gelebt, eine Vielzahl von Stolpersteinen im gesamten Viertel zeugt von ihrem Schicksal. Hier waren mehrere Synagogen außer dieser, hier war die inzwischen wieder eröffnete Talmud Thora Schule, hier ist auch die Universität, die viele jüdische Wissenschaftler ausschloss. …
Nach der schon erwähnten polizeilichen Räumung des Klinkerwerkes im Konzentrationslager Neuengamme von einer großen Gruppe gegen ihre anstehende Abschiebung protestierender Roma im Oktober 1989 wurden diese von der Friedenskirche in Hamburg Altona aufgenommen, wo sie, d.h. ungefähr 150 Menschen, für mehrere Wochen im Gemeindesaal wohnten.
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Im Namen des VeranstalterInnenkreises bedanke ich mich bei allen Anwesenden, Rednerinnen und Rednern, Besucherinnen und Besuchern, für diese gemeinsam im Zeichen von Humanismus und Antifaschismus verbrachten Stunden. Ich bedanke mich bei den Schülerinnen und Schülern der Schule Altrahlstedt für die Herrichtung dieses JCPes vor der Kundgebung. Der Jahrestag der Pogrome mahnt uns, weiter unbeirrt für die historische Losung “Nie wieder” einzutreten. Noch gibt es Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen und Erfahrungen an die systematische Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen an Jüngere weitergeben können. Doch ihre Zahl sinkt mit jedem Jahr. Seit langem legen auch nachgeborene Antifaschistinnen und Antifaschisten Zeugnis ab von den Verbrechen, die der deutsche Faschismus verübte. Dabei geht es auch um politische Zeichen: Antisemitismus, Rassismus und Neofaschismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Bleiberecht für alle von Abschiebung bedrohten Roma …