Enthüllung eines Modells für einen Gedenkstein (Mahnmal) für ehemalige ZwangsarbeiterInnen in Bergedorf
14. April 2012
Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag von Ilse Jacob
Wenn ich auch heute in Alsterdorf wohne, so habe ich doch in meiner Biografie eine kleine Beziehung zu Bergedorf. Als meine Eltern, beide waren Kommunisten, im Juli 1944 verhaftet wurden, holte mich meine Großmutter nach Bergedorf. In ihren guten Händen blieb ich ein Jahr, bis meine Mutter aus dem KZ Ravensbrück zurückkam. Mein Vater, Franz Jacob, war 1940 nach siebenjähriger Haft entlassen worden und baute zusammen mit anderen Genossen, zu denen auch meine Mutter gehörte, in Hamburg eine Widerstandsgruppe auf, die später als Bästlein-Jacob-Abshagen-Organisation bekannt wurde. In dieser Gruppe arbeiteten auch ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene mit. Drei von ihnen möchte ich näher vorstellen.
Von Sinaida Strelzowa weiß man nur wenig, nicht einmal ihr Geburtsjahr ist bekannt. Sie kam aus der Sowjetunion, wahrscheinlich aus der Ukraine, und war Zwangsarbeiterin auf der Stülckenwerft. Sie gehörte der illegalen Betriebszelle der Bästlein-Jacob-Abshagen-Organisation an und organisierte vor allem unter den Ostarbeitern des Betriebes den Widerstand. Sie gehört zu den Menschen, die wie ihre Kollegen Ernst Fiering und Franz Reetz am 21. und 23. April 1945 im KZ Neuengamme ermordet wurden.
Roger Fridman war seit 1940 französischer Kriegsgefangener. Unter welchen Bedingungen er nach Deutschland gebracht wurde? Zu Fuß und mit der Bahn, fast ohne Nahrung, Ankunft in Sandbostel, von dort in ein Lager nach Hamburg-Lokstedt und von dort in die Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM) in Groß Borstel. Dort wurden Flugzeugteile hergestellt. Untergebracht waren sie in einem Tanzlokal und einer Baracke gegenüber der Fabrik. Roger Fridman arbeitete bei VDM als Elektriker; später als Dolmetscher, das erlaubte ihm, alle Abteilungen kennen zu lernen und Nazis von Antifaschisten unterscheiden zu können. Roger Fridman berichtete später: „Nachdem sich unsere Gruppe von französischen Kommunisten und Antifaschisten organisiert hatte, beschlossen wir folgende Aktion und führten sie durch: Da es oft geschah, dass diejenigen, welche die Gefangenen in ihre Werkstatt begleiten sollten, einige Minuten zu spät kamen und andererseits die Fabrikdirektion von unseren Wachen forderte, dass wir pünktlich waren, gelang es uns, dass wir nach drei Minuten Warten auf die Zivilpersonen in unsere Baracke zurückkehrten. Das rief einen Sturm hervor! Die Direktion und der Chef unserer Wachen stritten sich, wer dafür verantwortlich gewesen sei. Die Folge war, dass 250 Gefangene eine Arbeitsstunde verloren. Was aber noch größeren Wert für unsere politische Arbeit hatte: Von diesem Tage an konnten die Gefangenen allein in die Werkstatt gehen, zum WC und in die Kantine. Das gestattete ein freies Umhergehen der Gefangenen in der Fabrik.“ In diesem Betrieb gab es eine illegale Widerstandsgruppe, die zur Bästlein-Jacob-Abshagen-Organisation gehörte und deren Arbeit von Robert Abshagen angeleitet wurde. Ende 1941 wurde Roger Fridman von Erwin Ebhardt, einem Deutschen in der Uniform des NS-Fliegercorps auf die Französische Kommunistische Partei angesprochen. Roger Fridman war zunächst wegen der Uniform skeptisch, aber ein anderer deutscher Kollege beruhigte ihn, und sagte, der Erwin sei in Ordnung. Nachdem ihre Unterkunft durch einen Bombenangriff zerstört worden war und sie in der Kantine des Betriebes untergebracht worden waren, forderte Roger Fridman im Namen der Franzosen von der Direktion eine bessere Unterbringung. Die Direktion hatte taube Ohren. Erwin Ebhardt informierte Roger Fridman, dass am Lattenkamp eine Unterkunft für 300 Zwangsarbeiter mit einem Bombenunterstand eingerichtet worden und noch nicht belegt war. Dieses Quartier forderten die Gefangenen jetzt für sich. Der Chef der Wachen unterstützte sie bei dieser Forderung. Er musste nämlich bei Bombenangriffen mit den Gefangenen in der ungeschützten Kantine bleiben. Die Kriegsgefangenen versammelten sich auf dem Fabrikhof und erklärten, dass sie nicht mehr in der Kriegsfabrik arbeiten würden, wenn nicht für ihre Unterkunft gesorgt würde. „Ich berief mich auf die Statuten des Roten Kreuzes. Die Direktion rief den Generalkommandanten des Bezirkes an, der geruhte, sich in die Fabrik zu begeben. Mit ihm verhandelte ich. Meine Kameraden wichen unterdessen nicht vom Hof. Ihr könnt euch den Eindruck vorstellen, den das in der Fabrik machte. Ein Streik! Seit Beginn des Hitlerismus hatte sich eine solche Sache nicht im Betrieb ereignet. Wir erreichten: 1. Die Unterbringung im Lager Lattenkamp, das einen Bombenunterstand hatte, 2. dass wir uns von einem Kommando zum anderen versetzen lassen konnten, 3. Verbesserung unserer Verpflegung, 4. die Beihilfe der Fabrik zur Einrichtung einer Theaterbühne, 5. für mich persönlich die Bevollmächtigung zum freien Verkehr von Lattenkamp in die Fabrik, ohne Bewachung, und jederzeit, wann ich wollte. Als Erwin Ebhardt im Oktober 1942 verhaftet wurde, wurde auch Roger Fridman festgenommen. Nach den schweren Bombenangriffen im Juli 1943 erhielt Erwin Ebhardt für zwei Monate Hafturlaub. Er stellte sich nicht wieder und ging in die Illegalität. Im März 1944 gelang der Gestapo die Festnahme von Erwin Ebhardt. Der Prozess gegen ihn fand nicht mehr statt. Er erlebte das Ende des Krieges unter verschärften Haftbedingungen im Hamburger Untersuchungsgefängnis. Roger Fridmans Sache wurde dem Kriegsgericht übergeben. Er wurde dann ständig von einem Lager ins andere verlegt. Im Lager der Stadt Wesermünde erkrankte er und wurde in das Stalag 10B gebracht. Dort erlebte er im Frühjahr 1945 mit Hilfe von Freunden die Befreiung.
Michal Pozywilek war polnischer Kriegsgefangener. Er wurde 1941 als 24-Jähriger zusammen mit anderen zur Arbeit auf die Werft von Blohm & Voss gebracht. Er beschreibt in seinen Erinnerungen, wie er und seine Freunde Kontakt zu deutschen Kollegen gefunden haben. „Unter ihnen befand sich ein alter polnischer Emigrant von vor 1914. Mit seiner Hilfe konnten sich die deutschen Arbeiter leichter mit uns verständigen und dank ihm erfuhren wir, wer Faschist und wer Antifaschist war. Dieser alte Emigrant machte uns mit einem deutschen Arbeiter Bruno näher bekannt. Bruno lernte die russische Sprache, er bat meinen Kollegen Karpiennik, der die russische Sprache ziemlich gut beherrschte, um Hilfe. Nach einer gewissen Zeit bat Bruno den Lagerkommandanten um die Erlaubnis, uns nach der Arbeit oder am Sonntag für die Arbeit in seinem Garten mitnehmen zu dürfen. In der Wohnung in Barmbek, lasen wir eine verbotenen Zeitung… Bruno war kein Mitglied der KPD, sondern ein mit den Kommunisten Sympathisierender.“ Ich habe hier so ausführlich zitiert, weil es ein Beispiel dafür ist, wie es auch unter sehr schwierigen Bedingungen für einen deutschen Arbeiter möglich war, Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter zu unterstützen. Später lernte Michal Pozywilek den Kommunisten Hans Hornberger kennen und bekam durch ihn Verbindung zur illegalen Betriebszelle bei Blohm & Voss. Diese Kollegen halfen ihnen durch Beschaffung von Lebensmitteln und Bekleidung. Wichtig war den polnischen Arbeitern aber auch, dass sie die Möglichkeit bekamen, in den Wohnungen der deutschen Kollegen den Moskauer Sender zu hören und sich ein Bild von der Lage an der Front zu machen.1964 berichtet Michal Pozywilek: „Mit großer Überzeugungskraft sprach der Kollege Hans mit uns über den Widerstandskampf der deutschen Arbeiter gegen Naziregime und Krieg. Und es dauerte nicht lange, bis wir polnischen Kriegsgefangenen beschlossen, uns diesem Kampf anzuschließen. Wir erhielten wichtige Informationen und gaben sie weiter an unsere Kameraden im Wohnlager Jungiusstraße und viele andere Lager. Gemeinsam mit den deutschen Kollegen haben wir den sowjetischen Kriegsgefangenen, denen es besonders schlecht ging, geholfen, so viel wir nur konnten.“ Es gelang, Verbindungen zu französischen, holländischen, italienischen, polnischen, russischen und serbischen Kriegsgefangenenlagern in und um Hamburg herzustellen. Als ihre wichtigste Arbeit sahen die ausländischen Arbeiter die Organisierung von Sabotageakten in kriegswichtigen Betrieben an. Beabsichtigt war vor allem, die Zerstörung der zur Herstellung von Kriegsschiffen bestimmten Maschinen, Werkzeuge und Rohstoffe. Jeder zerstörte auf seinem Posten, was er konnte. Man zerbrach zum Beispiel massenhaft Glühbirnen, verursachte Kurzschlüsse, die Schweißer schweißten absichtlich fehlerhaft…
Im Oktober 1942 wurden viele Mitglieder der Bästlein-Jacob-Abshagen-Organisarion verhaftet, unter ihnen auch Hans Hornberger. Michal Pozywilek gelang es, Verbindungen zu anderen deutschen Antifaschisten herzustellen, z. B. zu Ernst Fiering auf der Stülckenwerft. Bei den schweren Bombenangriffen im Juli 1943 wurden auch viele Kriegsgefangenenlager zerstört, viele Gefangene flüchteten aus Hamburg. Michal Poziwilek blieb mit neun seiner Kameraden in Hamburg und versuchte, abgerissene Verbindungen zu deutschen Widerstandskämpfern wieder herzustellen. Als im Juli 1943 viele Gefangenen für zwei Monate Hafturlaub erhielten, beschlossen einige von ihnen, darunter Hans Hornberger, sich nach Ablauf der Frist nicht wieder zu stellen, sondern unterzutauchen. Michal Pozywilek besorgte ihm gemeinsam mit einem anderen polnischen Kameraden, ein illegales Quartier. Anfang Januar 1944 gelang es der Gestapo mit Hilfe eines Spitzels Hans Hornberger festzunehmen. In den Verhören wurden die Verhafteten immer wieder nach einem „Mischka“ befragt, der der Gestapo aber unbekannt blieb. Hans Hornberger wurde am 14. Februar gemeinsam mit seinen Genossen Gustav und Lisbeth Bruhn und Kurt Schill ohne gerichtliches Verfahren auf Anweisung Himmlers im KZ Neuengamme gehängt.
Im Herbst 1944 erschien den Behörden die Konzentration von feindlichen Ausländern in Hamburg zu groß. Viele von Ihnen wurden deshalb in Lager in der Gegend von Lübeck gebracht. Zu ihnen gehörte auch Michal Pozywilek. Im Winter 1944/45 gelang es ihm, gemeinsam mit anderen in die Wälder zu flüchten. Sie zogen Richtung Hamburg und versuchten, Kontakte zu Hamburger Genossen herzustellen. Als dies nicht gelang, versteckten sie sich bis zur Befreiung durch englische Truppen im Sachsenwald. Ich habe Roger Fridman und Michal Pozywilek in den 60er Jahren noch persönlich kennen gelernt und war von ihrer Persönlichkeit, ihrer Menschlichkeit und ihrem Humor beeindruckt. Hier, wo heute das Modell eines Mahnmals für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter enthüllt wird, war es mir wichtig, daran zu erinnern, dass sie Furchtbares erlitten haben, aber auch dass viele von ihnen am antifaschistischen Widerstand beteiligt waren.