Offener Brief

8. Februar 2018

 

 

Dieser  offene Brief wurde an die Bürgerschaft übergeben.

Weitere Unterschriften können gezeichnet werden.

Bitte wenden Sie sich per Mail an unser Landesbüro: vvn-bda.hh@t-online.de

 

Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

Offener Brief von Kindern und Enkeln im Stadthaus misshandelter und gefolterter Widerstandskämpfer*innen

Wir wenden uns an die Öffentlichkeit als Nachkommen von Angehörigen des Hamburger antifaschistischen Widerstands, die zwischen 1933 und 1943 im Stadthaus – damals Sitz der Hamburger Polizei – von der GESTAPO misshandelt worden sind. Schon bald nach dem 30. Januar 1933 waren Misshandlung und schwerste Folter bis zum Mord regelmäßig Teil der dort erfolgten Vernehmungen.

In allen Erinnerungsberichten unserer Eltern und Großeltern und ihrer Freunde spielte das Stadthaus – ebenso wie das KoLaFu – eine ganz besondere Rolle als Ort des Schreckens.

Schon 1948 stellten „die politisch und rassisch Verfolgten in der Baubehörde“ einen Antrag auf Errichtung eines Erinnerungsmals im damals noch vorhandenen ehemaligen „Bereitschaftsraum“, in dem    die Verhafteten auf ihre Verhöre warten mussten.  Sie schrieben an Senator Dr. Nevermann: „Seit Menschengedenken sah kein anderer Raum in Hamburg soviel seelische Qual, soviel Verzweiflung, soviel unverschuldete Not wie dieser. Sorgen Sie, sehr geehrter Herr Senator, bitte dafür, dass dieser Raum, dieser Vorhof zur Hölle, nicht mehr dem nüchternen Alltag dient: Ein schlichtes Denkzeichen möge von den Kämpfern und den Opfern für Menschlichkeit und Recht und Freiheit zeugen. Eine schmiedeeiserner Gittertür trenne den Raum vom Flur, einen Blick gewährend auf das Mal“.  Der Antrag wurde von Dr. Nevermann im Senat eingebracht, wo aber „grundsätzliche Bedenken erhoben wurden“, so dass er letztlich im Sande verlief.[1]

1977 ergriffen Kolleginnen und Kollegen der ÖTV die Initiative für eine Erinnerungstafel am Eingang. Ältere Kollegen, die selbst in den Kellern gelitten hatten, hatten ihnen von der Geschichte des Hauses berichtet und die sollte nun öffentlich werden. Bis 1981 dauerte es, dass die Tafel endlich angebracht werden konnte.

Nun hat die Stadt Hamburg die ehemalige größte Folterkammer an der Stadthausbrücke an den privaten Investor Quantum verkauft. Immerhin gab es eine vertraglich festgelegte Forderung an den neuen Eigentümer, in dem Gebäude eine angemessene Gedenkstätte zu schaffen. Eine Gedenkstätte für all die Menschen, die dort während der Zeit des Nationalsozialismus gefoltert, gequält und ermordet wurden. Damit die Erinnerung an die wirklichen Helden jener Zeit nicht aus dem Gedächtnis der nachkommenden Generationen verschwindet. Die Erinnerung daran, dass es Menschen gegeben hat, die für eine Zukunft ohne Terror und Krieg bereit waren, ihr Leben zu geben.

Quantum hatte sich im Jahre 2009 verpflichtet, „in Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme einen Lernort … (Ausstellung, Seminare, Veranstaltungen, Inszenierungen, Dokumentationen) zur Nutzung des Stadthauses in den Jahren 1933 – 1943 (…) in geeigneten Räumen auf seine Kosten zu realisieren sowie dauerhaft den Betrieb und die öffentliche Zugänglichkeit sicher zu stellen.“ (Drs. 19/4555). Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme wurde mit den inhaltlichen Vorarbeiten für die Einrichtung einer solchen Dokumentations- und Gedenkstätte in Erinnerung an die Opfer der Polizeigewalt in der Zeit des Nationalsozialismus beauftragt. Erste Zwischenergebnisse wurden im Jahre 2012 in einer Ausstellung im Rathaus präsentiert („Dokumentation Stadthaus. Die Hamburger Polizei im Nationalsozialismus“). Laut Antwort des Senats (Drs. 20/12554) sollte im Erd- und Untergeschoss eine Gedenkstätte realisiert werden, welche vom Betreiber zu konzeptionieren sei.

Jetzt erfahren wir, dass an der für die Gedenkstätte vorgesehenen Fläche eine Buchhandlung mit angeschlossenem Café entstehen soll. Oh ja, 70  Quadratmeter  Ausstellung soll es auch geben! Vielleicht notgedrungen mit einer Plakette an der Wand, die man leicht übersehen kann: „Hier wurden zahllose Menschen gefoltert und ermordet“?

Diese Entwicklung fordert unseren entschiedenen Widerspruch heraus. Wir sind empört!

Dieses Stadthaus ist ein Sinnbild für die Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Systems in Hamburg. Es ist so oft die Rede davon, dass unsere Jugend Vorbilder brauche. Richtig! Die politischen Häftlinge, ebenso wie aufrechte Christen und andere Gegner des Regimes haben sich für ein demokratisches Deutschland geopfert, das ist ein Geschenk an das deutsche Volk, das nicht  in Vergessenheit geraten darf. Ihre Namen, Bilder und Lebensgeschichten gehören an diesen Ort, nicht ein Café, in dem man sich zum gemütlichen Plaudern niederlässt!

Carl Burmester, der mit anderen den Widerstand der Hafen- und Seeleute organisierte, wurde die Treppe hinab zu Tode gestürzt.

Herbert Dau, der spätere Bürgerschaftspräsident, wurde wegen seiner Tätigkeit im sozialdemokratischen Widerstand im Gestapohauptquartier, dem Stadthaus, gefoltert.

Etkar André, kommunistisches Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, wurde hier gefoltert, bis er nur noch eine einzige blutige Masse war.

Adolph Schönfelder, vor 1933  Polizeisenator der Stadt Hamburg, wurde von seinen ehemaligen Untergebenen mit besonderer Infamie „behandelt“.

Der 17jährige Helmuth Hübener, der selbstverfasste Flugblätter mit seinen Freunden verteilt hatte, wurde hier gefoltert, bevor er zum Tode verurteilt wurde.

Wenn von Besitzern historischer Gebäude im Umfeld der Stadthausbrücke unter Androhung von finanziellen Konsequenzen verlangt wird, bestimmte Vorlagen zur Gestaltung der Außenfassade zu erfüllen, warum kann man die neuen Besitzer des Palais nicht zwingen, den unterschriebenen Vertrag zu erfüllen und für eine angemessene Gedenkstätte zu sorgen? Stattdessen antwortet der Senat auf Anfragen der CDU und der LINKEN, man habe keinen Einfluss mehr auf die Vertragserfüllung. „Kann nicht“ heißt doch im Klartext „Will nicht!“ und das darf nicht hingenommen werden.

Ralph Giordano, Hamburgs berühmter Sohn, Verfasser der “Bertinis“ und Stifter des Bertini-Preises, der dreimal den Foltermethoden der Gestapo ausgeliefert war, sagte Zusammenkünfte im Hotel gegenüber ab, wenn er dabei auf das Stadthaus blicken musste.

Elie Wiesel sagte einmal: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“

 

Norma van der Walde, Tochter von Kurt van der Walde

Ilse Jacob, Tochter von Franz und Katharina Jacob

Ursula Suhling, Tochter von Karl und Lucie Suhling

Peter Badekow, Sohn von Albert Badekow

Helga Buschmann, Tochter von Ludwig Levien

André und René Buschmann, Enkel von Ludwig Levien

Carola Kieras, Enkelin von Georg Kieras

Elisabeth Sukowski-Pfohlmann, Enkelin von Klara Dworznik

Prof. Dr. Ulrich Bauche, Sohn von A. W. Bauche

Christiane Meyn, Ehefrau von Hein Meyn

 

Als eine der wenigen noch lebenden ehemaligen Gefangenen der GESTAPO im Stadthaus unterstütze ich das Anliegen meiner Kameradinnen und Kameraden mit ganzem Herzen.

 

Ilse Budzyn, geb. Kantel

 

Hamburg, den 25. Januar 2018

[1]     Dokumentation Stadthaus in Hamburg, Hrsg. ÖTV-Bezirksverwaltung Hamburg, April 1981