Rede der VVN-BdA auf der Kundgebung Wandsbek-Markt

geschrieben von Cornelia Kerth

1. Juni 2012

Die Mordserie der neofaschistischen Terrorgruppe, die sich “Nationalsozialistischer Untergrund“ nennt, belegt auf dramatische Weise: Neofaschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Die Mordserie der neofaschistischen Terrorgruppe, die sich “Nationalsozialistischer Untergrund“ nennt, belegt auf dramatische Weise: Neofaschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Trotz der ungeheuerlichen Dimension und Brutalität dieser Mordtaten sind sie kein Einzelfall. Wir erinnern an das Oktoberfest-Attentat, an die Brandanschläge, Pogrome und Mordtaten in den 90er Jahren u.a. in Solingen, Mölln, Lichtenhagen und Hoyerswerda. Eine Liste von Todesopfern rechter Gewalt in Deutschland seit 1990 nennt die erschreckende Zahl von 183 Toten, zu der jetzt noch die Opfer des Terrornetzwerks addiert werden müssen.

Nachdem der deutsche Faschismus 55 Millionen Tote und eine Welt in Flammen zu verantworten hat, ist das Grundgesetz von 1949 ist in wesentlichen Bestimmungen als Gegenentwurf zum faschistischen Staats- und Gesellschaftsmodell entstanden. Dies wird vor allem im Artikel 139 deutlich, der beinhaltet, dass faschistische Organisationen – in welchem Gewand auch immer – aufzulösen sind.

Die Praxis sieht bekanntermaßen anders aus: Auch heute dürfen Nazis mit Menschen verachtenden und Menschen drohenden Parolen durch unsere Straßen marschieren. Mit ihnen darf ein „Abschiebär“ durch die Wohngebiete der Menschen laufen, die er in einem widerlichen Video auf youtube mit Pistolen bedroht. Und mit der NPD existiert eine legale Partei, die diese Menschenverachtung in die Parlamente trägt. Wie die Spinne im Netz sitzt sie im Zentrum eines Geflechts verschiedener neofaschistischer Strukturen.

Wesentliche Äußerungen der NPD widersprechen bereits dem ersten Artikel des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Programmatische Aussagen der NPD und ihrer Funktionäre machen dies ebenso deutlich wie 16.133 neofaschistische Straftaten und 768 Gewalttaten, die allein 2010 von Mitgliedern und Sympathisanten der NPD begangen wurden.

Wir sind entschieden der Meinung, dass die NPD verboten werden muss, weil sie in der Tradition der NSDAP steht, weil ihr Menschen- und Gesellschaftsbild mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, weil sie faschistische Ideologie mit Gewalt verbindet und weil ihre Legalität ihr den Anschein von Legitimität verleiht.

Die verbrecherischen Taten der deutschen Faschisten folgten ideologischen Vorgaben: einer umfassenden Theorie der Ungleichheit, aus der sich für sie zwingend Ungleichwertigkeit ableitet und dem Sozialdarwinismus, der in Verbindung mit dem völkischen Nationalismus alle Menschheitsverbrechen des deutschen Faschismus als Notwendigkeiten im „Kampf ums Dasein“ legitimiert.

In einer Argumentationshilfe für Kandidaten und Funktionsträger der NPD hört sich das so an:„Völker sind nun einmal Lebens- und Naturtatsachen. … Der „Mensch“ ist genauso eine Fiktion, ein Gedankengebilde und eine Illusion wie die „Menschheit“.“ Und: „Das Grundgesetz … ist ein Diktat der Westalliierten …, die Grundrechtsbestimmungen triefen vor Menschenrechtstümelei … .“

Die NPD ist heute das strategische und organisatorische Zentrum sowohl der Alt- als auch der Stiefelfaschisten. Auch die bisher bekannten Beteiligten der Terrorgruppe bewegten sich offensichtlich in diesem Umfeld und dort fanden Helferinnen und Helfer.

Die NPD schafft es, in einem „Kampf um die Straße“ nicht nur regelmäßig hunderte und bis 2011 alljährlich im Februar in Dresden tausende Anhänger für ihre Aufmärsche zu mobilisieren, sie schafft es auch, dass diese Aufmärsche gegen tausende empörte Antifaschistinnen und Antifaschisten staatlich geschützt werden – solange sie nicht verboten ist.

Wir haben es allerdings gemeinsam geschafft, dass sie in diesem Jahr nicht mehr nach Dresden gekommen sind! Gegen massive staatliche Repression haben Tausende Antifaschisten in den letzten Jahren verhindert, dass Nazi-Banden durch die Stadt marschieren konnten. Nun blieben sie weg. So soll es überall sein, auch in Hamburg müssen wir diesen und alle künftigen Aufmärsche stoppen – solange sie nicht verboten sind!

Die NPD schafft es, ihre menschen- und demokratiefeindliche Propaganda in einem „Kampf um die Köpfe“ massenhaft zu verbreiten, finanziert z. B. durch Wahlkampfkostenerstattung – solange sie nicht verboten ist.

Sie schafft es, Parlamente für ihre Hasstiraden zu nutzen und über parlamentarische Aufwandsentschädigungen und Kostenpauschalen für die Abschaffung des parlamentarischen Systems zu wirken – solange sie nicht verboten ist.

Und: solange sie nicht verboten ist, genügt allein schon diese Legalität, um ihr einen Anschein von Legitimität zu verleihen.

Wir wissen, dass nur eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Inhalten faschistischer Ideologie die erschreckend hohe Rate von Zustimmung zu faschistischen oder „rechtsextremistischen“ Positionen in der „Mitte der Gesellschaft“ reduzieren kann. Wir sind dabei.

Wir meinen aber auch, dass ein Damm gegen die organisierende Kraft gebaut werden muss, die diese Ideologie in praktische Politik im Parlament und Gewalt auf der Straße umsetzt und vielfältige braune Netzwerke ermöglicht und fördert, damit sie nicht weiter um sich greift.

Nach dem nun öffentlich gewordenen skandalösen – bis zur Strafvereitelung reichenden – Umgang des „Verfassungsschutzes“ mit der Nazi-Szene, nachdem mittlerweile jeder Journalist, der nur ein wenig recherchiert, darauf gestoßen ist, dass das „V-Leute“-System Geld, Informationen und offensichtlich auch logistische Unterstützung für die Nazi-Strukturen bereitstellt und ebenso offensichtlich keinerlei relevante Erkenntnisgewinne über diese Strukturen liefert, ist es höchste Zeit es zu beenden und den Weg für ein erfolgreiches Verbotsverfahren frei zu machen.

Solange aber Behörden und Gerichte Neofaschisten erlauben, ihren Hass und ihre Hasspropaganda dorthin zu tragen, wo Menschen leben, die von ihnen ausgegrenzt, angegriffen und – wie in annähernd 200 Fällen in den letzten 25 Jahren – ermordet werden, müssen wir es in unsere Hände nehmen, diese Aufmärsche zu stoppen. Solange sind Blockaden unser Recht. Denn: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.