Rede von Steffi Wittenberg am 11.Mai 2014

11. Mai 2014

Wir stehen hier am Ehrenmal für die Opfer des Faschismus in Ohlsdorf mit 105 Urnen, mit Aschenresten und Erde aus 105 Konzentrationslagern und Haftanstalten.
29 Urnen aus 26 Ländern wurden in einer Gruft vor dem Denkmal beigesetzt.
Der Sockel auf der Vorderseite trägt die Inschrift: „Unrecht brachte uns den Tod. Lebende erkennt Eure Pflicht. Auf der Rückseite steht: Gedenkt unserer Not. Bedenkt unseren Tod. Den Menschen sei Bruder der Mensch“.
Wir erinnern an den 8.Mai 1945. Ich war an diesem Tag, als der Faschismus besiegt wurde, in Uruguay. In der Innenstadt Montevideos gab es eine Großkundgebung. Die Nazis waren besiegt, die überlebenden Antifaschisten, die Häftlinge, wurden befreit. Nicht erst an diesem Tag. Ich erinnere, in Uruguay wurde der 25. August 1944 gefeiert: der Tag der Befreiung von Paris. Hunderttausend strömten in die Innenstadt Montevideos, um die Befreiung dieser Stadt zu ehren.
Ihm war der 10.Juni vorausgegangen, die Landung der Alliierten in der Normandie. Und es folgte später die Befreiung von Berlin am 2. Mai 1945. Und am 8. Mai die Kapitulation des Naziregimes. TAG DER BEFREIUNG,
Uruguay hat nur 3,3 Millionen Einwohner, Montevideo noch nicht einmal 1½ Millionen Einwohner, aber die Uruguayer waren sehr politisiert und die Mehrheit auf Seiten der Alliierten. In Uruguay hatten wir im Radio, in den Zeitungen und in den Wochenschauen den mörderischen Krieg immer nur aus der Sicht der Alliierten, der Engländer, Amerikaner und später Sowjetunion wahrgenommen.
Es gab auch eine nichtjüdische deutsche Kolonie, die mit den Nazis sympathisierte, sie wurde aber von der Mehrheit der Bevölkerung missachet.
Ich habe mit meiner Mutter meine Mutterstadt Hamburg noch Ende Dezember 1939 verlassen und meinem Vater und meinem Bruder folgen können, die schon im Oktober 1938 mit einem Visum nach Uruguay reisen konnten. Uns also, meiner Mutter und mir, war eine Einreisesperre in Uruguay im Dezember 1938 in die Quere gekommen. Daher erlebte ich den Überfall auf Polen am 1. September 1939 noch in Hamburg. Meine Mutter meinte damals, jetzt werden wir Juden alle umgebracht. Ich schrieb in mein Tagebuch: „Heute hat der Führer die Wehrmacht zu den Waffen gerufen, ausgerechnet an Tante Gretes Geburtstag.“
Meinem Vater ist es mit unermüdlicher Energie gelungen, ein neues Visum nach einem Jahr für uns zu bekommen. So wurden wir noch gerettet vor dem Massenmord an den Juden. Wir trafen Ende Januar 1040 in Montevideo ein.
Zwei Schwestern meiner Mutter und ein Cousin, die Nachbarfamilie Haas unserer früheren Wohnung, einige Lehrkräfte und Schulkameradinnen meiner jüdischen Schule in Hamburg wurden deportiert und ermordet. Um nur von meinem engen Umkreis zu sprechen.
Etwa 20.000 Juden lebten in Hamburg vor der Nazizeit, am Ende lebten noch etwas über 600 Juden und Jüdinnen in Hamburg, sogenannte Mischlinge. Die eine Hälfte war geflohen und die kleinere Hälfte wurde Opfer der Shoah. Gibt es eine andere Nation als das Deutsche Reich, die sich mit ihrem technischen Können Gedanken machte, wie können sie eine von ihr als minderwertig eingestufte  Menschengruppe, speziell handelte es sich um Juden und Sinti-Roma, Zigeuner, mit wenig Aufwand, ökonomisch sparsam in Massen töten? Der sogenannte industrielle Massenmord ist eben ein „Meister aus Deutschland“. Und neben den Juden mordete das Naziregime Polen, Russen und andere Völker unterschiedlicher Religionen, Behinderte, Zeugen Jehovas, Gegner des grausamen Regimes.
Was für herrliche Musik wurde in diesem Deutschland komponiert: Beethovens 9. Symphonie „Alle Menschen werden Brüder, wo Dein sanfter Flügel weilt…“. Schauspiele wurden aufgeführt von Goethe und Schiller, wunderbare Gedichte von Heine waren einst in der Schule gelehrt worden, dann waren Texte von Juden ja verboten. Und auch die wertvollen Werke der Nazigegner. Die einen Antifaschisten gingen ins Exil, die anderen Antifaschisten und Widerstandskämpfer bekämpften die Faschisten, solange es ihnen möglich war. Oft kamen sie in Haft, wurden gefoltert, kamen wieder heraus oder auch nicht und wurden ermordet.
Viele wurden Opfer von Denunzianten.
Heute gehen die überlebenden Antifaschisten noch immer in die Schulen oder in Universitäten und tragen ihre Geschichte vor, damit die Verbrechen nicht vergessen werden und nie wieder geschehen.
Aber es wird noch immer gemordet, es gibt wieder Kriege, kriegerische Auseinandersetzungen und Rassenhass. Wir erfahren eigentlich vieles täglich aus den Medien. Leider nicht immer sachlich. Da werden uns oft Gründe vorgetragen, warum ein Krieg in Kauf genommen werden muss. Manchmal denke ich, die Waffenproduktion muss florieren. Leider finden wir in unserer Regierung viele Volksvertreter, die wenig Empathie für die Menschen haben, die als Flüchtlinge zu uns kommen, aus Ländern, in denen sie verfolgt werden oder wo Krieg herrscht. Im Falle der Lampedusa-Flüchtlinge verstehe ich die harte Haltung unseres Senats nicht. Aufgrund meiner eigenen Lebenserfahrung, schließlich verdanke ich mein Leben der Tatsache, dass Uruguay mich und meine Familie als deutsche jüdische Verfolgte aufgenommen hat, also Asyl gewährte, also nach meiner Erfahrung halte ich die Bundesrepublik Deutschland für verpflichtet, Menschen in Not aufzunehmen, ihnen Arbeit oder Ausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen. Da wurden doch tatsächlich von unserer Regierung gerade drei Länder, und zwar Bosnien-Herzogewina, Mazedonien und Serbien für sichere Herkunftsländer erklärt, in denen angeblich keine Verfolgung stattfindet, obwohl bekannt ist, dass die Roma-Bewohner verfolgt und von Bildung und Berufen ausgeschlossen werden.
Das können wir doch nicht durchgehen lassen. Pro Asyl und andere Organisationen protestieren bereits. Und natürlich auch die VVN-BdA.
Mit meinen Ausführungen will ich sagen: wenn wir erinnern und gedenken, an diesem denkwürdigen Tag der Befreiung, dann müssen wir uns auch mit der Gegenwart auseinandersetzen. Und wir stellen fest: Wir haben unser Versprechen vom Befreiungstag von Buchenwald, also den Schwur von Buchenwald nicht eingelöst, wo es da heißt:
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
Da müssen wir noch viel nachholen.
Und vielleicht können wir den 8. Mai auch noch als Feiertag, als Tag der Befreiung vom Faschismus und Krieg durchsetzen?
Packen wirs an.