Samstag, 06. November, 14:00 Uhr – 10 Jahre NSU Selbstenttarnung – NSU-Morde aufklären, Rassismus bekämpfen, Rechten Terror stoppen!

19. Oktober 2021

Demonstration

Ramazan-Avci-Platz (S Landwehr)

Vor zehn Jahren, am 4. November 2011, enttarnte sich das Kerntrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ NSU. Obwohl offiziell gesucht, hatte es 13 Jahre lang unbehelligt in Chemnitz und Zwickau leben und von dort aus rassistische Morde und Sprengstoffanschläge sowie zahlreiche Raubüberfälle in mehreren Großstädten begehen können.

Am Jahrestag der Selbstenttarnung gedenken wir der Opfer des NSU-Netzwerkes:

Enver Şimşek (9.9.2000, Nürnberg),

Abdurrahim Özüdoğru (13.6.2001 Nürnberg),

Süleyman Taşköprü (27.6.2001 Hamburg),

Habil Kılıç (29.8.2001 München),

Mehmet Turgut (25.2.2004 Rostock),

İsmail Yaşar (9.6.2005 Nürnberg),

Theodoros Boulgarides (15.6.2005 München),

Mehmet Kubaşık (4.4.2006 Dortmund),

Halit Yozgat (6.4.2006 Kassel) und

Michèle Kiesewetter (25.4.2007 Heilbronn).

Bei drei Sprengstoffanschlägen wurden über zwei Dutzend Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt: in Nürnberg 1999 und in Köln 2001 in der Probsteigasse und 2004 in der Keupstraße. In den vergangenen Jahren starben Überlebende an den Folgen des Anschlags, wie Atilla Özer aus Köln.

Wir erinnern an die Unfähigkeit und den Unwillen deutscher Sicherheitsbehörden, rechten Terror wahrzunehmen und aufzuklären:

Institutioneller Rassismus in den Strafverfolgungsbehörden hat die Aufklärung blockiert und die Fortsetzung der rassistischen Morde begünstigt. Statt die Hinweise von Opfern und Bedrohten auf den rassistischen Hintergrund der Morde und Anschläge ernst zu nehmen, stigmatisierten die Sicherheitsbehörden über Jahre hinweg die Opfer und ihre Angehörigen. Verfassungsschutzämter unterschlugen Hinweise auf das untergetauchte Trio und umstellten es mit Dutzenden von V-Leuten. Das V-Leute System hatte zum Erstarken der neonazistischen Bewegung beigetragen. In Verbindung mit dem Prinzip „Quellenschutz vor Aufklärung“ schützte es die Täter:innen vor Aufdeckung und Strafverfolgung und behinderte nach ihrer Selbstenttarnung die Aufklärung.

Vollständige Aufklärung! Für einen Untersuchungsausschuss auch in Hamburg!

Nicht aufgeklärt, auch nicht durch den Münchner NSU-Prozess, ist vor allem das Netzwerk, das die NSU-Kernzelle deckte und die das NSU-Netzwerk weiß, verdankt sie engagierten Journalist:innen und Anwält:innen, antifaschistischer Recherche und den Untersuchungsausschüssen im Bund und den Tatortländern. Nur Hamburg hat sich, als einziges Tatortland, selbst dem Versuch einer Aufklärung verweigert. Bis heute wird das Totalversagen damit kleingeredet, dass es keinerlei Hinweis auf einen rechten, rassistischen Hintergrund gegeben habe.

Dabei hatte rechter, antisemitischer, rassistischer Terror – von Straßenterror und Hetzjagden bis zu Morden und tödlichen Anschlägen wie dem Münchner Oktoberfestattentat – nach 1945 eine breite Blutspur durch Deutschland gezogen, hunderte Menschen getötet, unzählige verletzt, eingeschüchtert, bedroht.

Auch in Hamburg: Hier verübten Neonazis 1980 einen Sprengstoffanschlag auf die kurz zuvor nach dem 1942 im KZ Treblinka ermordeten jüdischen Kinderarzt Janusz Korczak umbenannte Schule am Bullenhuser Damm mit zwei Verletzten. Im August 1980 töteten sie bei einem Brandanschlag auf eine Unterkunft die beiden vietnamesischen Geflüchteten Ngoc Chau Nguyên und Dô Anh Lân. 1982 verübten sie einen Fememord an einem schwulen Gleichgesinnten. Aus rassistischem Hass ermordeten sie im Juli 1985 Mehmet Kaymakçı und wenige Monate später, im Dezember, Ramazan AVCI. Rassistische Gewalt nahm in den 1990er Jahren erheblich zu. In unmittelbarer Nachbarschaft Hamburgs, in Mölln, zündeten Neonazis zwei Häuser an, drei Menschen starben in den Flammen. 2000, ein Jahr vor dem Mord an Süleyman Taşköprü, erreichten die Vorfälle rassistischer Alltagsgewalt in Hamburg einen neuen, bedrohlichen Höhepunkt.

Die Hamburger Sicherheitsbehörden jedoch haben bei ihren Ermittlungen, die von rassistischer Gewalt ausgehende Gefahr vollständig ignoriert. Im Untersuchungsausschuss im Bundestag wies die SPD-Abgeordnete Eva Högl die Behauptung des ehemaligen Leiters der Hamburger SOKO zurück, man habe auch nach rechts ermittelt: „Wir finden in den Akten nicht an einer einzigen Stelle, dass es um Rechtsextremismus, fremdenfeindlichen Hintergrund“ gegangen sei.

Wir finden uns mit der Verweigerung der Aufarbeitung dieses Totalversagens nicht ab. Deshalb und zur Aufklärung der Rolle Hamburger Neonazis bei der Ermordung von Süleyman Taşköprü fordern wir einen Untersuchungsausschuss auch in Hamburg! Denn ohne Aufklärung und Aufarbeitung wird sich wenig ändern.

Konsequenzen ziehen!

Nicht nur der Staat, auch die Mehrheitsgesellschaft und auch wir, die kritische Öffentlichkeit haben in den Jahren des NSU-Terrors versagt. Wir haben die Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund der Mord- und Anschlagsserie ignoriert und die Opfer und Bedrohten alleingelassen. Das darf nie wieder geschehen!

Denn der rechte, rassistische und antisemitische Terror geht auch nach der Selbstenttarnung der NSU-Kernzelle weiter. Aus rassistischem, antifeministischem, antisemitischem und völkischem Hass haben Rechtsterroristen 2016 in München, 2019 in Kassel und Halle und 2020 in Hanau 21 Menschen getötet. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich Menschen in kürzester Zeit mit Verschwörungserzählungen radikalisiert. Mit den Neonazis des NSU-Netzwerkes sehnen sie den Systemumsturz, den „Tag X“ herbei. Rassistische und antisemitische Morddrohungen und Morddrohungen gegen antifaschistisch/politisch Engagierte sind an der Tagesordnung.

Die Enttarnung weiterer rechter Netzwerke auch in deutschen Sicherheitsbehörden meist durch antifaschistische und journalistische Recherche – zeigt, dass die von rechtem Terror ausgehende Bedrohung nicht unterschätzt werden darf.

Deshalb rufen wir auf zu einer Demonstration am 6.11.

Wir gedenken der Opfer des NSU und aller Opfer von Rassismus, Antisemitismus und völkischem Wahn.

Wir fordern die vollständige Aufklärung des NSU-Terrors, die Aufarbeitung des Totalversagens der Sicherheitsbehörden, die Auseinandersetzung mit und Bekämpfung von institutionellem

Rassismus in den Sicherheitsbehörden, einen NSU-Untersuchungsausschuss auch in Hamburg und die Auflösung des Verfassungsschutzes.

Wir fordern die konsequente Verfolgung und Zerschlagung rechter, rassistischer Netzwerke, auch innerhalb der Sicherheitsbehörden.

Gemeinsam und solidarisch gegen Antisemitismus, Antiziganismus, antimuslimischen und jede andere Ausprägung von Rassismus sowie rechte Gewalt!

Hamburger Bündnis gegen Rechts