Befreiung – was sonst!

19. Mai 2015

Der 70. Jahrestag der Befreiung in Hamburg

Nachdem die Bundesregierung schon vor zehn Jahren angekündigt hatte, dass der 60. Jahrestag der Befreiung der letzte sei, der groß begangen werde, folgte schon bald die allgemeine Sprachregelung in Politik und Medien vom „Tag des Kriegsendes und der Befreiung der Lager“. Und tatsächlich, am 8. Mai 2015 schwieg die Bundesregierung.   Mehr noch: Auch die Einladung zu den Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ in Moskau wies die Regierung unter Hinweis auf den Konflikt um die und in der Ukraine zurück. Da erscheint es fast als gutes Zeichen, dass der Außenminister am 8. Mai mit seinem russischen Amtskollegen in Wolgograd und die Kanzlerin dann am 10. Mai mit Putin in Moskau Kränze niedergelegt haben.   Das Parlament lud sich mit Heinrich August Winkler einen Historiker ein, der die Befreiung nur in einem – natürlich dem westlichen – Teil Europas sah und überdies der Gauck’schen „Mahnung“ vor pazifistischer Bequemlichkeit statt militärischer „Verantwortung“ noch die Weisheit hinzufügte, dass es eine „deutsche Sondermoral“ nicht geben dürfe …

 

So war die Erinnerung an diesen Jahrestag, der in nahezu allen anderen europäischen Ländern ein Feiertag ist, ganz in die Hände der außerparlamentarischen Kräfte gelegt. Da war es ein wichtiges Zeichen, das die Linksfraktionen im Bundestag und in der Hamburger Bürgerschaft den Antrag einbrachten, auch in Deutschland den Tag der Befreiung von Nazi-Terror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum gesetzlichen Feiertag zu machen.   In Hamburg hatte sich schon seit dem vergangenen Herbst auf Einladung der VVN-BdA ein breites Bündnis aus mehr als 40 Verfolgten-Organisationen, geschichts- und erinnerungspolitische Initiativen, Gruppen und Organisationen aus antifaschistischen Bündnissen und Friedensbewegung ebenso wie zivilgesellschaftliche Netzwerke, Gewerkschaften, Jugendorganisationen und Parteien zusammengefunden. Mit der „Hamburger Erklärung“ trat das Bündnis schon früh an die Öffentlichkeit und warb für ein großes Befreiungsfest in den Wallanlagen am 9. Mai als gemeinsamen Höhepunkt vielfältiger Aktivitäten zu diesem 70. Jahrestag.

 

Fanden Auf- und Abbau der vielen Info- und Verpflegungszelte, der Bühnentechnik u. s. w. teilweise in strömendem Regen statt, so zeigte sich jedoch während der Veranstaltung sogar zeitweise die Sonne. Und so kamen rund 1.000 Hamburger_innen auf ein paar Stunden oder auf einen “Sprung“ vorbei. Manche von ihnen vielleicht einfach beim Spaziergang oder gar auf dem Weg zum Hafengeburtstag. Viele, weil sie einen Grund sahen, an diesem Tag gemeinsam zu feiern.

Da sprachen die „Zeitzeuginnen“ Antje Kosemund und Frieda Larsen, Sylvia Wempner und Rolf Becker ließen die Erinnerungen und Gedanken von Elsa Werner, Gebhard Kraft, Wolf van der Walde und Eberhard Zamory wieder lebendig werden und Rolf fügte eigene hinzu. Die internationalen Gäste, Piet Schouten (FIR Vizepr. aus Holland), Jacques Lewkowicz und Nicole Mokobodzki von der Union des Juifs pour la Résistance et l’Entraide aus Paris und Ruth Bariff, Tochter des Hamburger Widerstandskämpfers Werner Stender aus London sowie der russische Veteran Alexander Homskij verliehen der Veranstaltung eine zusätzliche emotionale Dimension.

Norma van der Walde sprach über das Leben ihrer Eltern als jüdische Jugendliche im englischen Exil, in der FDJ und im Deutschen Kulturbund. Steffi Wittenberg, die stets ihr Überleben dank Asyl in Uruguay als Ansporn für ihr internationalistisches Engagement sah, war durch ihre Biographin Erika Hirsch präsent und unser chilenischer Freund César Gonzales sprach vom faschistischen Putsch in Chile, der Ankunft in Hamburg und spannte den Bogen in die Gegenwart, als er vom Hungerstreik ehemaliger politischer Gefangener in Chile sprach, mit dem sie für Entschädigungszahlungen und Renten für ein Leben in Würde kämpfen.

 

Auch Gaby Heinecke und Martin Klingner vom AK Distomo sprachen über die Gegenwart: bis heute nicht gezahlte Entschädigung für die Opfer und bis heute nicht bestrafte Verbrechen. Die Überlebenden und Hinterbliebenen des Massakers, bei dem SS-Einheiten im Juni 1944 218 Bewohner_innen grausam massakriert und ihre Häuser in Brand gesteckt hatten, stehen stellvertretend für alle griechischen NS-Opfer. Auch Täter wurden nie bestraft, so lebt noch immer der in Italien wegen des Massakers in St. Anna di Stazema verurteilte Kriegsverbrecher Gerhard Sommer unbehelligt in Hamburg.

 

Zum Abschluss wurde über die Bedeutung des Schwurs von Buchenwald für die heutigen Generationen diskutiert. Einig war man sich darin, dass es noch viel zu tun gibt und dass Veranstaltungen wie diese dazu motivieren, es gemeinsam anzugehen.

Dazwischen viel Musik: Folk von David Rovics, Rap von OneStepAhead, Swing vom Café Royal Salonorchester, Lieder aus Lateinamerika von Resistencia, das Duo Sokugayo vertonte Erich Mühsam, die Oma Körner Band und die Surfits „heizten“ ein als es zum Abend kühler wurde.

 

Bereits am Freitag war am künftigen Ort des Deserteursdenkmals neben dem Kriegsklotz die Grundsteinlegung vorbereitet worden, am Abend war in der Universität Hamburg (Westflügel) die sehr informative Ausstellung „Europäischer Widerstandskampf gegen den Faschismus“ eröffnet worden. Sie ist noch bis zum 22. Mai zu sehen.

 

Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung hatten rund 300 Leute an einem szenischen Stadtrundgang auf den Spuren des Widerstands teilgenommen, „begleitet“ von Menschen aus dem Widerstand, über die berichtet wurde; von Fiete Schulze und Etkar André waren die Totenmasken dabei, an Franz und Katharina Jakob erinnerte ihre Tochter Ilse mit Texten von Katharina. Peter Gingold, Esther Bejarano, Steffi Wittenberg und Flora Neumann waren auf Plakaten präsent. Parallel dazu wurde in St. Georg der eindrucksvolle Film „Komm und sieh“ des sowjetischen Regisseurs Elim Klimov gezeigt.

 

Am 10. Mai wurde nach der traditionellen Gedenkfeier der VVN-BdA am Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Ohlsdorf auf dem Ehrenhain Hamburger Widerstandskämpfer eine neue Skulptur „Der Redner“ gemeinsam mit dem Förderverein des Friedhofs eingeweiht.   Alles in allem haben sicher knapp 1.500 Menschen an den Veranstaltungen rund um den Tag der Befreiung teilgenommen. Das sollte eine gute Grundlage sein, auch in Zukunft daran festzuhalten: der 8. Mai muss auch in Deutschland zum gesetzlichen Feiertag werden.

 

Cornelia Kerth