Detlef Garbe, Ansprache zur Veranstaltung „70 Jahre VVN Hamburg – ein Grund zum Feiern!“, Kulturpalast Hamburg-Billstedt, 3. Februar 2017

6. Februar 2017

Liebe Freundinnen und Freunde,

und ich bin froh und dankbar dafür, auch sagen zu können, liebe Kameradinnen und Kameraden.

Wir sind heute Abend hier im nach der Renovierung wieder eröffneten, noch schöneren und größeren Kulturpalast zusammengekommen, um an die Gründung der Hamburger „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ vor 70 Jahren zu erinnern. Am 1. und 2. Februar 1947 kamen Überlebende der Konzentrationslager und anderer Haftstätten, dem Holocaust Entronnene, Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer unterschiedlicher politischer, religiöser oder anderweitiger weltanschaulicher Prägung zusammen, um sich nach den Erfahrungen der gerade erst anderthalb Jahre überwundenen faschistischen Barbarei gemeinsam in einem starken Verband zu organisieren. Trotz des Rückhalts durch die britische Besat­zungsmacht spürten sie bereits, dass es einer gemeinsamen Interessenwahrneh­mung bedurfte, denn in der Bevölkerung waren die ehemals Verfolgten keineswegs wohl gelitten, vielmehr begegnete ihnen verdeckt oder auch schon offen Ablehnung und Zurückweisung.

Die Anfänge der VVN reichen allerdings noch weiter zurück, in die ersten Nach­kriegsmonate. Stark inspiriert vom „Schwur von Buchenwald“ waren Überlebende aus dem KZ Buchenwald, die am 26. Mai 1945 mit zwei Bussen am Karl-Muck-Platz ankamen, dort von anderen Widerständlern empfangen worden und in einer spontanen Demonstration zum benachbarten Strafjustizgebäude gezogen, um die überfällige Freilassung politischer Häftlinge aus dem Untersuchungsgefängnis zu verlangen. Sie strebten ein „antinazistisches Komitee in Hamburg an, welches Vertreter aller bisherigen antinazistischen Meinungen umfasst, unbeschadet der religiösen und rassischen Unterschiede“. Zehn Tage später wandten sich Über­lebende aus Buchenwald, Neuengamme und weiteren Lagern unter dem Briefkopf „Die ehemaligen politischen Gefangenen Hamburg(s)“ an die britische Militärregie­rung. In ihrem Schreiben vom 5. Juni 1945 sahen sie „zur Herstellung eines engen Vertrauensverhältnisses zur alliierten Befreiungsarmee“ eine „Zusammen­fassung aller antinazistischen Kräfte“ für erforderlich, boten ihre Unterstützung an und forderten die „Enteignung und Bestrafung aller Kriegsschuldigen“.

Erst einmal galt es, die Voraussetzungen für eine solche Organisation zu schaffen. Im Juli wurde erreicht, dass ihnen ein früheres Heim der NS-Volkswohlfahrt in der Maria-Louisen-Straße 132 zugewiesen wurde. Seit September bezeichneten sie sich als „Komitee ehemaliger politischer Gefangener Hamburg“.

Neben dem für die Prüfung der Verfolgteneigenschaft zuständigen „Erkennungs­dienst“, der zunächst noch von der Polizeidienststelle Drehbahn 36 aus wahrge­nommen wurde, bilden sich schnell weitere Arbeitsbereiche heraus: Sozialarbeit, Suchdienst, Auf­deckung und Verfolgung von Naziverbrechen, Bildung von Stadtteilkommissionen. Am 10. Oktober 1945 erschien das erste umfangreichere Konzeptionspapier des Komitees unter dem Titel: „Wir stellen fest. Kritisches über wichtige Fragen.“, das mit den Worten eingeleitet wurde: „Ausgehend von dem Grundsatz, dass das deutsche Volk in seiner Gesamtheit eine ungeheure Schuld zu tilgen hat und dass auch die ehemaligen politischen Gefangenen sich nicht außer­halb dieser Gemeinschaft stellen, will das Komitee alle zuverlässigen und politisch nicht belasteten Kräfte zum Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands zusammenfassen.“

Hauptanliegen dieses Memorandums, das sich sowohl an die Militärregierung wie die Bevölkerung richtete, war die Kritik an Versäumnissen im Handeln der Hamburger Verwaltung: Zu wenig Unterstützung beim Suchdienst für die in Konzentrationslagern Vermissten, keine Beschlagnahmungen des Besitzes ehemaliger NS-Größen für Zwecke der Verfolgten, Schwierigkeiten bei der sogenannten Wiedergutmachung, unzureichende Straßenumbenennungen usw.

Die Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht war zunächst sehr eng; der Vor­sitzende des Komitees, Franz Heitgres, wurde Senator für Wiedergutmachung und Flüchtlingshilfe. Noch im Jahr 1945 wurde das Arbeitsfeld des Komitees, insbesondere im sozialen Bereich, erheblich ausgeweitet. Ein Schwerpunkt in der Arbeit des „Komitees“, das zeitweilig über 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte, war die Versorgung von Hinterbliebenen der NS-Opfer, insbesondere der Halb- und Vollwaisen, die Beschaffung von Wohnraum, Kleidung und Arbeitsplätzen. Im Rahmen der Aktion „Helft den Kin­dern“ konnten durch einen Verzicht von Arbeitern und Angestellten auf einen Teil der Bezüge zugunsten hungernder Kinder in 45 Weihnachtsfeiern beispielsweise etwa 21.000 Kinder beschenkt werden.

In weiten Teilen der Bevölkerung steigerte all dies die Unbeliebtheit der ehemaligen Verfolgten. Franz Heitgres bemerkte in der Einleitung zum Jahresbericht 1947 dazu: „Die Schwierigkeiten unserer Arbeit entstehen eigentlich dadurch, daß wir weiterhin ein Stachel im Gewissen des deutschen Volkes […] sind. Man befürchtet weiterhin die Frage nach der eigenen Vergangenheit.“

Bei der 1. ordentlichen Delegierten-Konferenz des Komitees, die vor genau 70 Jahren am 1. und 2. Februar 1947 unter Vorsitz von Franz Heitgres und Max Brauer tagte, erfolgte die Annahme eines Statuts und die Namensumbenennung des Komi­tees in „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“. Die Gesamtmitgliederzahl in Hamburg betrug jetzt 8.300 ehemalige politische Gefangene, das sind etwa 2/3 der vom Prüfungsausschuss anerkannten Verfolgten. Sie organisierten sich in 42 Stadtteil- und 16 Betriebskomitees. Aus den Angaben für die Zuerkennung von Verfolgtenausweisen können Rück­schlüsse auf die politische Zusammensetzung gezogen werden. Demnach gehörten knapp über die Hälfte der ehemals Verfolgten in Hamburg der KPD an, 20 Prozent der SPD, unter den restlichen 30 Prozent stellen die aus Gründen des Rassismus und der Religion Verfolgten die größte Zahl. Trotz der Dominanz von KPD-Mitglieder, die insofern auch ein Abbild des Grades der Verfolgung der Kommunisten durch das NS-Regime darstellte, waren die Gremien nach dem Prinzip der paritätischen Repräsentanz aller Gruppen gewählt worden. So bestand der am 28. Februar 1948 gewählte Vorstand der VVN Hamburg unter dem Vorsitzenden Franz Heitgres (KPD) und seinem Stellvertreter Walter Schmedemann (SPD) aus vier Mitgliedern der KPD, vier Mitgliedern der SPD, zwei rassisch Verfolgten sowie je einem Mitglied der religiös Verfolgten, der Frauenorganisation, der CDU und der FDP.

Den Umfang der damaligen Arbeit zeigt auch die Zahl der Anfragen, die bei der VVN eingingen. Im Jahr 1947 waren es 235.524 Such­meldungen, vor allem aus dem Ausland. Zur Öffentlichkeitsarbeit zählte die Herausgabe des Informationsdienstes „Appell“ (Aufla­ge: 10.000), Broschüren zum Widerstand gegen das NS-Regime in Hamburg und die Ausrichtung von Gedenkfeiern. Neben der Wanderausstellung „Kampf und Opfer“, die im Gewerkschaftshaus im Besenbinderhof und im Völker­kundemuseum gezeigt wurde, gab es unter dem Titel „Wir werden nicht vergessen“ auch eine erste Ausstellung über die Verbrechen in den Konzentrationslagern.

Als zwei Monate nach der Gründung in Hamburg in Frankfurt am Main in einer alle vier Besatzungszonen übergreifenden Konferenz die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) für ganz Deutschland gegründet wurde, zeigte sich schon, dass der sich immer stärker heraufziehende Kalte Krieg die Organisation stark belasten würde. Oder anders ausgedrückt: Der bis dahin durchgehaltene Konsens unter­schiedlicher politischer Kräfte in der VVN begann zu bröckeln. Den Kern der Ausein­andersetzung bildete dabei das Verhältnis der VVN zu KPD und SPD. Im Zuge der starken Auseinandersetzungen um die Vereinigung von KPD und SPD in der Sow­jetischen Besatzungszone und den dortigen Festnahmen von SPD-Mitgliedern, die sich der Vereinigung zur Sozialistischen Einheitspartei SED widersetzten, beschloss der Vorstand der SPD im Mai 1948 die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der VVN mit der in der SPD; als Ersatz wurde die „Arbeitsgemein­schaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten“ gegründet. Christdemokratische, freidemokratische und partei­unabhängige Naziverfolgte hielten zunächst weiterhin an der VVN fest, gründeten aber im Februar 1950 den „Bund der Verfolgten des Naziregimes“ (BVN).

Am 26. Juli 1951 wurde der deutschlandweite Rat der VVN von der Bundesregierung verboten, es folgten kurze Zeit später Verbote der Landesorganisationen in Rheinland-Pfalz, im Saarland und auch im sozialdemokratisch regierten Hamburg. Am 19. September 1950 erklärte die Adenauer-Regierung die Unterstützung der VVN mit den Dienstpflichten eines Beamten für unvereinbar. Der Verbotsantrag der Bundesregierung gegen die Gesamtorganisation scheiterte, das Verbotsverfahren wurde 1962 eingestellt, das Verbot in Hamburg jedoch erst im Juni 1967 wieder aufgehoben. Vom Unvereinbarkeitsbeschluss, der allerdings vielerorts überhaupt nicht angewandt wurde, verabschiedete sich der Bundesvorstand der SPD erst im Oktober 2010.

Dieser Rückblick auf die überaus verdienstvollen Anfänge der VVN, die dann im Räderwerk des Kalten Krieges fast vollständig aufgerieben wurde und sich dann erst nach und nach wieder in die gesellschaftliche Auseinandersetzungen einbringen und Großes in der Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit der vergangenen Jahrzehnte leisten konnte, gibt vielleicht auch einen Hinweis darauf, weshalb unsere heutige Jubiläumsveranstaltung nicht im Hamburger Rathaus, sondern hier im Kulturpalast stattfindet.

Denn eine Würdigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist_innen ist bis heute ein politisches Symbol. Anders als im europäischen Ausland, wo die aus dem Widerstand gegen das Naziregime hervor gegangene Organisation und ihre Repräsentanten vielfach hoch geehrt wurden, ist die VVN/BdA bei uns vielen immer noch keine öffentliche Ehrung wert.

Schlimmer noch: Neuerdings mehren sich wieder die Angriffe auf den Verband. So möchte die Bürgerschaftsfraktion der AfD es den städtischen Stadtteilzentren, wie dem Lola in Bergedorf, untersagen, ihre Räumlichkeiten der VVN/BdA zur Nutzung zur Verfügung zu stellen. Vor drei Monaten, und zwar ausgerechnet am 9. Novem­ber, an diesem geschichtsträchtigen Datum, brachte der frühere Innensenator der Schill-Partei Dirk Nockemann diesen Antrag ins Landesparlament ein. Gut, dass die anderen Fraktionen dem teilweise sehr deutlich widersprachen. Und noch besser, dass sich der Kulturpalast wie die anderen Stadtteilzentren von solchen Droh­gebärden nicht einschüchtern lässt.

Die Frontlinien des Kalten Krieges wirken bis heute nach. Damals gerieten die in der VVN organisierten ehemals politisch Verfolgten ins Visier des Staatsschutzes und der neu gegründeten bundesdeutschen Geheimdienste. Es gab in dieser Zeit eben nicht nur die politische Verfolgung von Angehörigen der Jungen Gemeinde, von Zeugen Jehovas und von Sozialdemokraten in der DDR, es gab auch im Westen eine Gesinnungsjustiz und politische Verfolgungsmaßnahmen, die sich gegen Men­schen richteten, die als kommunistischen Widerstandskämpferinnen und Wider­standskämpfer in den Konzentrationslagern unter dem SS-Terror gelitten hatten.

Und wir reden hier nicht nur über lange zurückliegende Zeiten. Bis zum Jahr 2005 wurde im Verfassungsschutzbericht des Bundes die VVN-BdA unter der Rubrik „linksextremistische Bestrebungen“ geführt. Und noch heute ist sie in den Berichten des Bayerischen Landesverfassungsschutzamtes zu finden. Das ist nicht hinnehm­bar und gehört geändert.

In Zeiten, in denen uns durch Historikerkommissionen zur Aufarbeitung der Ge­schichte der Bundesministerien, des Bundeskriminalamtes und des Bundesnach­richtendienstes noch einmal aus den Akten veranschaulicht wird, wie stark die Bundesrepublik in ihrer Frühzeit durch ehemalige Nationalsozialisten geprägt wurde, sollte man sich bewusst machen, dass es im Blick auf die Frühzeit der Bundes­republik keine einfache Betrachtungen gibt. Für jene Zeit ist es fürwahr nicht so leicht mit den Maßstäben für demokratisches Denken und Handeln. Denn die Frontlinien im Kalten Krieg verliefen nicht gerade.

25 Minister, ein Bundespräsident und ein Bundeskanzler der Bundesrepublik waren ehemalige Mitglieder in NS-Organisationen. Im Bundesfinanzministerium war die Hälfte aller Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter in den 1950er-Jahren ehemalige Parteigenossen der NSDAP. Beim Bundesgerichtshof, der höch­sten Instanz im Straf- und im Zivilrecht, lag 1953 der Anteil NS-belasteter Richter bei 72 Prozent, bis 1956 stieg er auf 79 Prozent, in den Strafsenaten lag er noch 1962 bei 80 Prozent. Beim Bundeskriminalamt besetzten ehemalige SS-Offiziere zeitweise mehr als zwei Drittel der leitenden Positionen. Diese einstigen Helfer und Voll­strecker des Hitlerregimes erkannten – was nicht überraschen kann – in der VVN und ihrem Wachhalten der Erinnerung eine Gefahr und nahmen die Kommunisten­jagd erneut auf. Dass sie dafür im neuen demokratischen Staat Rückhalt fanden und Rückenwind erhielten, verdankten sie dem Umstand, dass auch ihre unbelasteten Kollegen und die neuen politischen Entscheidungsträger unter den Bedingungen des Kalten Krieges dem Kampf gegen die „rote Gefahr“ eine höhere Priorität einräumten als einer konsequenten Aufarbeitung der braunen Vergangen­heit. Trotz der ver­heerenden Erfahrung des Nationalsozialismus blieb auch der neue demokratische Staat wie in Weimarer Zeiten weiterhin für lange Zeit auf dem rechten Auge blind.

Auch wenn zweifelsohne innerhalb der VVN in ihrer langen Geschichte manche Irrwege beschritten wurden, der Einfluss der DKP offenkundig war und nicht zuletzt die verheimlichten jahrzehntelangen Zuwendungen aus der DDR, die nach 1989 publik wurden, zu Zerwürfnissen führten und weiterhin ein schweres Erbe darstellen, so bedeutet die ungebrochene Nennung der VVN in Verfassungsschutzberichten altes Denken in den Kategorien des Kalten Krieges und eine Negierung der in den letzten Jahrzehnten vollzogenen innerverbandlichen Veränderungen.

Denn die VVN stellt sich heute ihrer Geschichte, sie stellt sich auch schwierigen und sehr schmerzhaften Fragen. In den letzten Jahren wurde – um hier ein Beispiel zu nennen – eine intensive Aufarbeitung der Geschichte von jenen mehreren Tausend deutscher Antifaschisten vorangetrieben, die Opfer der stalinistischen Verfolgung in der Sowjetunion wurden. Schade nur, dass die vor zwei Jahren im Stadtteilkultur­zentrum Barmbek-Basch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gezeigte Ausstellung „Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933-1956“ so wenig Resonanz fand. Vielleicht ein Ansporn dafür, sie erneut in Hamburg zu zeigen. Denn gerade aus der Auseinandersetzung mit den unschönen, den bitteren Seiten der eigenen Geschichte lässt sich viel lernen. So würde ich mich freuen, wenn die VVN/BdA sich in ihrer Geschichtsarbeit auch den Biografien jener ihrer Aktivisten zuwendet, die in den dunklen Nachkriegsjahren und -jahrzehnten aus der Organi­sation oder an ihren Rand gedrängt wurden. Zu ihnen gehörte auch der 1954 aus der KPD ausgeschlossene Franz Heitgres ebenso wie Ralph Giordano oder Helmuth Warnke, um nur einige Namen zu nennen.

Ich denke auch an die schweren innerverbandlichen Zerwürfnisse Ende der 1980er Jahre, als „Erneuern“ unterstellt wurde, sie wollten sich von antifaschistischen Grundpositionen lösen. Als Hans Zorn darauf hinwies, dass „Antifaschismus nicht davor bewahrte. schwere und schwerste Verbrechen zu begehen, wie es in der Stalin-Ära der Fall war“, war dieses für manche ein verwerfliches Tun. Inzwischen dürfte es sein Plädoyer in der VVN/BdA einfacher haben: „Antifaschismus heute bedeutet gleichzeitig: ein Eintreten für die Menschenrechte und unnachsichtige Kritik an Menschenrechtsverletzungen wo immer sie stattfinden.“

Die Stigmatisierung der VVN als extremistisch, ihre Überwachung durch Verfas­sungsschutzämter, die nicht nur beim Terrorismus des NSU versagt haben, ist anachronistisch. Wer heute noch die VVN/BdA politisch auszugrenzen versucht, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht eher auf das unbequeme heutige politische Engagement zielt, das sich im Kampf gegen den Neofaschismus gerade auch um unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat verdient macht und mithin echten, konstruktiven Verfassungsschutz darstellt. Ihre entschlossene Gegenwehr zur Verhinderung von Nazidemonstrationen, ihre Bündnisbreite und ihre Offenheit auch für unkonventionelle Protestformen lassen in Behörden und im Parteien­spektrum jene nach Ausgrenzung verlangen, die im Unterschied zu großen Teilen der VVN/BdA noch im alten Denken verhaftet sind.

Erfreulicherweise findet eine solche Ausgrenzungsstrategie in den Bundesländern und in den Städten, in denen sich in den letzten Jahren in großer Zahl Bündnisse gegen rechts gebildet haben, wenig Anklang, denn nicht selten sind dort – wie bei uns in Hamburg-Bergedorf – die Rathausparteien SPD, CDU, FDP, Grüne und Linke mit der VVN/BdA gemeinsam vertreten.

Hier möchte ich auch ausdrücklich die vor zehn Jahre gestartete Kampagne der VVN/BdA zum leider nun erneut gescheiterten NPD-Verbot nennen. Jenseits aller berechtigten juristischen Bedenken hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil, das sich auf die fatale Einschätzung stützt, die NPD sei zu schwach, als dass von ihr eine echte Gefahr ausgehen könne, ein fatales Signal ausgesendet, das den rechten Rand ermutigen wird. Dass der thüringische Landesvorsitzende der AfD genau am Abend des gleichen Tages in Dresden vor den Jungen Alternativen seine Schmähkritik des Berliner Holocaust-Mahnmals und der – wie er es nennt – „dämlichen Bewältigungspolitik“ ansetzte, war eine gezielte Provokation. Die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985, die der Sichtweise von der Befreiung vom Nationalsozialismus in Politik und Gesellschaft zum Durchbruch verhalf, als „Rede gegen das eigene Volk“ zu brandmarken, ist ein Frontalangriff auf die politische Identität unseres Landes. Wohin die von Höcke proklamierte „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad!“ führen soll, ist deutlich: zurück in die Zeit der Leugnung und Rechtfertigung, in eine Renazifizierung des geistigen Klimas. Man meint, sich vom „Schuldkult“ befreien zu müssen, um einen neuen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus den Weg zu bereiten.

Ich denke, dass in den vor uns liegenden Zeiten der entschlossene Kampf gegen das Vergessen noch notwendiger werden wird. Hier brauchen wir, hier brauchen die demokratischen Kräfte die VVN/BdA an ihrer Seite. Als vor noch gar nicht so langer Zeit viele die 2013 gegründete Partei „Alternative für Deutschland“ für eine lediglich gegen eine verfehlte europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik aufbegehrende Bewegung von Hamburger Wirtschaftsprofessoren und anderen neoliberalen Kräften hielten, gaben die VVN im Verbund mit dem Hamburger Bündnis gegen Rechts, der dgb-jugend Nord, der ver.di-jugend, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und mit Unterstützung durch den AStA der Universität Hamburg die Dokumentation zur Kritik der AfD „Rechtspopulismus ist keine Alternative!“ heraus. Diejenigen, die dies für Alarmismus hielten, sehen sich nun eines besseren belehrt.

Der Rechtspopulismus ist heute zweifellos die größte Herausforderung, vor der wir stehen, nicht nur bei uns, sondern in vielen Staaten, in denen große Bevölkerungsteile meinen, sich von den Problemen weltweiter Gerechtigkeit abschotten und ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Reichtum vor den globalen Herausforderungen verteidigen zu müssen. Das Problem sind dabei nicht nur die rechtspopulistischen Parteien, darauf weisen Conny Kerth und Axel Holz in ihrem Papier „70 Jahre nach ihrer Gründung ist die VVN/BdA nötiger denn je!“, zu recht hin, sondern Erosionsgefahren in der Mitte, Gewichtsverschiebungen in der ganzen Breite sozusagen. Man gräbt den Populisten nicht das Wasser ab, in dem man ihre Forderungen aufnimmt. Wir brauchen einen klaren Damm gegen menschenrechtsfeindliches Denken. Denn, und da hat die VVN/BdA völlig recht, „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.