Erinnerung am Kurt von Appen

30. Oktober 2016

Am Internationalen Gedenktag für die Opfer von Faschismus und Krieg 2016  wurde  auf dem  Ehrenhain der Hamburger Widerstandskämpfer (Friedhof Ohlsdorf) an Kurt von Appen erinnert:

Wir dokumentieren den Beitrag

 

Wie es in Biogrammen üblich ist, werden Personen nur mit knappen Stichworten vorgestellt.

So heißt es über Kurt von Appen, von seinen Freunden Butz genannt, über seine politische Tätigkeit seit 1933:

„Hilft 1933 den KJVD Eimsbüttel in den Untergrund zu führen und Jugendarbeit konspirativ zu organisieren. Da seit Mai 1933 steckbrieflich gesucht, Emigration in die ČSR. Hält sich im Frühsommer möglicherweise in Paris und Stockholm auf. Teilt seiner Schwester Frieda Beckmann …verschlüsselt mit, dass er im Sommer in die Sowjetunion fahre. In Moskau Studium an der internationalen West-Universität. Reist 1936 nasch dem Putsch Francos gegen die spanische Republik unter dem Decknamen ‚Karl Adler’ über Frankreich illegal in Spanien ein. In der 12. Interbrigade ist er Kommissar eines Stoßtrupps im Rang eines Hauptmanns. Während der Verteidigung Madrids eingesetzt bei Los Rosas, Engelburg und im Universitätsviertel. Vor Madrid gefallen im Alter von 26 Jahren. Beerdigt als ‚Karl Adler’ am 29. November 1936 auf einem städtischen Friedhof in Madrid.“

Was für ein Leben versteckt sich hinter diesen knappen Daten? Viele Fragen drängen sich auf.

Was bedeutet die Angabe: „Hilft 1933 den KJVD Eimsbüttel in den Untergrund zu führen“ ? Lebte er selbst bereits illegal oder noch bei seiner Mutter in Stellingen in der Melanchthonstr.6? Hat er seine Freundin Anita Vogt, uns als Anita Sellenschloh bekannt, noch treffen können? Wo hing sein Steckbrief aus? Wer half ihm bei seiner Flucht in die ČSR? War er im Sommer 1934 wirklich in Paris und Stockholm oder wurde dort nur seine Post in den Briefkasten gesteckt?

 

Diese Fragen kann ich nicht beantworten. Ich kann nur berichten, was in seinen wenigen veröffentlichten Briefen steht.

Im Februar 1934 schreibt er seiner Mutter, die monatelang nichts von ihm gehört hatte, dass es ihm gut gehe. und dass er hoffe, sie seien seinetwegen nicht zu sehr belästigt worden.

Im Dezember 1934 schickt er Anita einen Gruß zum 23. Geburtstag in das Frauengefängnis Lübeck-Lauerhof, in dem es heißt:

„Es ist schon der zweite Geburtstag, den Du unter solchen Umständen gezwungen bist, zuzubringen. Ich bewundere Deine Standhaftigkeit und freue mich, Dich in nicht allzu langer Zeit wieder unter uns zu sehen. Dein Zigeuner“

 

Vor seiner Abreise nach Spanien schreibt er aus Paris an seine Schwester:

„ Ich fahre jetzt. Ich muss beim Wintersport dabei sein. Nicht ängstlich, Bein breche ich mir schon nicht. Und wenn es schief geht …nun Schicksal. Kann man nichts bei machen. Dann lasst Momchen nichts wissen…

 

An Anita schreibt er am 2. November 1936:

 

Mein liebes Mädelchen!

Es war der letzte Abend in Paris. Morgen fahre ich nach Haus in die Schweiz*. Dabei kann ich nichts sagen, Paris wirklich kennen gelernt zu haben. Was ich gesehen habe, sah ich vom Taxi aus, mit dem ich kreuz und quer durch die Stadt fuhr Trotzdem eine fabelhafte Stadt, ein interessantes Volk. Ich schrieb Dir noch aus London. Eine gewaltige, doch steife Stadt. Nun auch sie hat ihre Schönheiten, doch Paris ist schöner.

Da Du schon immer mal Paris sehen wolltest, wäre hier eine Möglichkeit gewesen sich zu treffen. 5 Tage freilich nur, doch Du, wie gern wollte ich es…

Ich schrieb eben gerade einen Brief an Bruno fertig. worin ich schrieb, dass ich sehr zuversichtlich bin. Man kann es auch sein. Mit so einem Vater** im Hintergrund, dazu noch einen, der jetzt gern und viel gibt, der eine gewaltige Kraft darstellt, kann man nur gewinnen. Das weiß man, wenn man lange bei ihm war. Ich hatte auch bei ihm ein herrliches Leben.

Gestern schrieb ich den Brief schon nicht mehr zu Ende. In ein paar Stunden geht mein Zug. Mein liebes Mädelchen, halte Dich fuchtig. Entschuldige, doch noch bevor ich abfahre, werde ich auf Dein Wohl u. auf unseren Erfolg anstoßen. Es muss sein u. wir sehn uns wieder. Besuche recht oft mein Momchen. An sie denke ich am meisten, ich möchte so viel für sie tun…

Liebes Mädel! Ich wünsche Dir alles Gute. Meine Liebe zu Dir hatte nie nachgelassen, immer warst Du meine Frau. Wenn wir uns nicht mehr sehn sollten, dann sei nicht so traurig. Lebe! Jetzt muss ich schon schließen. Dein Bild trage ich mit mir. Meine Gedanken werden stets bei Dir sein. Ich küsse Dich, halte Dich in meinen Armen.

Ich drücke Dir kräftig die Hand! Dein Butz

 

(*Spanien, ** Sowjetunion)

 

Drei Wochen, nachdem er diesen Brief geschrieben hatte, fiel Butz von Appen vor Madrid.

Von seinem Tod hat Anita erst 1938 erfahren. Lucie Suhling hat in ihren Erinnerungen berichtet, sie habe von einer Genossin, die illegal in Prag gewesen sei, davon erfahren und sie habe mit anderen Genossen beraten, wer Anita die Nachricht überbringen solle. Sie entschieden sich für Renate Wagner. Als alle drei – Anita, Renate, Lucie – Anfang des Jahres 1939 im Kolafu inhaftiert waren, wurden sie von der Gestapo befragt, wie sie von Tod Kurt von Appens erfahren hatten. Sie hatten sich darauf verständigen können, die „Schuld“ einer emigrierten Genossin in die Schuhe zu schieben.

Meine Mutter ist 1961 mit Anita Sellenschloh und Ali Badekow nach Spanien gefahren. Sie wollten zum Grab von Butz von Appen. Auf dem Friedhof haben sie bei der Suche nach dem Grab nicht gewagt, das wirkliche Todesdatum zu nennen. Es war noch finsterste Franco-Zeit und sie hatten alle drei ihrer Erfahrungen mit einem faschistischen Machtapparat. Friedhofsmitarbeiter waren sehr hilfsbereit, aber auch sie konnten das Grab nicht finden. Irgendwann entschieden sich Anita, Ali und Katharina doch das wahre Datum zu nennen und eine Verbindung zu den Internationalen Brigaden anzudeuten. Daraufhin wurden sie von den Arbeitern in den Arm genommen und auf kürzestem Weg zu dem Grab geführt, das sehr gepflegt war. Es hat dort so etwas wie ein kleines Fest mit den Friedhofsmitarbeitern stattgefunden.

Was gaben sie da gefeiert? Ich denke, ein kleines Fest der internationalen, antifaschistischen Solidarität. Die ist auch heute nötig.