Hamburger Antifa Seiten Sept./Okt. 2014

23. September 2014

   AUS DEN LANDESVEREINIGUNGEN UND VERBÄNDEN

Das Gedenken der VVN-BdA Altona wurde unterstützt von einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen. Darunter auch von der Rap-Combo OneStepAhead aus Steilshoop, die dem diesjährigen Gedenken an die Ereignisse des Naziaufmarsches und Polizeimassakers am Altonaer Blutsonntag im Juli 1932 und der darauf folgenden Verfolgung von Antifaschisten, die für den Wi- derstand dagegen verantwortlich gemacht wurden, mit ihrem eigens zu diesem Thema geschriebenen Lied das Motto geschenkt hatten. »Erinnern, nicht nur um zu erin- nern, wir erinnern, um in Zukunft Nazis zu verhindern«. Entsprechend umjubelt wurde die Gruppe, als die ersten Takte dieses Liedes vor den über 100 Teilnehmenden im Schatten der ehemaligen Polizeikaserne Altona gereimt wurden. Die vier Antifaschisten, die stell- vertretend für den antifaschistischen Widerstand und die Resistenz der kommunistischen Arbeiterbewegung noch in der Weimarer Republik mit gefälschten Beweisen angeklagt und am ersten August 1933 mit dem Handbeil hingerichtet wurden, sind durch das Gedenken der VVN-BdA im Stadtteil präsent geblieben und wurden in diesem Jahr in einem kleinen Umzug auf großen Plakaten auf dem Weg zum Konzert durch »ihre« Straßen getragen. Vorher wurde am Hinrichtungsplatz das Motto des Gedenkens beim Wort genommen. In mehreren Reden zu den historischen Ereignissen wurde – umrahmt von antifaschistischen Liedern eines wunderbaren Chors – auf die Notwendigkeit einer klaren Kante gegen Nazis und Verhältnisse, die diese groß werden lassen, hinge- wiesen. Besonders wurde in diesem Jahr eine klare Positionierung gegen den Vormarsch und die Verbrechen der Faschisten in der Ukraine eingefordert. Nach den Ereignissen des Blut- sonntags 1932 in Altona wurde aus der Tatsache, dass staatliche Behörden den Nazis die Straße freischießen und gemeinsam mit ihnen Antifaschisten angreifen, eine unübersichtliche Gemengelage konstruiert, bei der es keine Opfer und keine Täter mehr gab. Wie die Vertreterin der VVN-BdA Altona in ihrer Rede sagte: »Wir können aus der Geschichte lernen, dass wir einen unverstellten Blick auf die Ereignisse brauchen. Das bedeutet, die Geschehnisse in ihrem Zusammenhang zu begrei- fen, nach Interessen zu fragen, die dahinter stehen. Sich nicht mit der Oberfläche zufrieden geben. Uns unsere Geschichte zurück zu erobern bedeutet auch, Handlungsfähigkeit und Stärke zu gewinnen«.  Max

  Querfront-Strategie

zeichnet sich in der Praxis aus durch Konzentration auf ein Ziel, das angeblich »ideolo- giefrei« durch breite Mobilisierung »nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts« (J. Elsässer) verfolgt wird. Dem entspricht z. B. der Verhaltenscode, dass keine Erken- nungszeichen von Organisationen bei »Montagsmahnwachen« gezeigt werden dürfen. Inhaltlich wird dies durch die platte Art von »Kapitalis- mus«- und »Imperialismus«-Kritik deutlich, die immer dort auftaucht, wo Rechte versuchen, linke The- men zu besetzen. Statt Analyse komplexer Zusammenhänge geht es da um simple antiamerikanische Ressentiments und undifferen- zierte Pro-Russland-Haltung, die Ablehnung des »Zinssystems«, das angeblich den Kern des Kapitalismus ausmacht und – seit Beginn des jüngsten Gaza-Krieges – um einsei- tige Israel-Schelte. Dazu kommen eine allgemeine »Eliten«-Kritik mit Schwerpunkt auf Banken, Politiker und Medien, die – direkt oder indi- rekt – als Teile einer Verschwörung dargestellt werden. Dass bei den »Montagsmahn- wachen« jede Menge Menschen unterwegs sind, die einen erheblichen Teil ihres Lebens online verbringen und davon überzeugt sind, dass »die Wahrheit« im Netz verbreitet wird, passt dazu. Warum das in Hamburg anders sein sollte, können die Teile der Friedensbewegung, die bereits am 28. Juli und Anfang August vor dem »Spiegel«-Gebäude und nun auch am Antikriegstag zusammen mit der »Montagsmahnwache« als »Friedensnetz« aufgetreten sind, nicht überzeugend begründen. Auch hier sind allerhand Esoteri- ker, Anhänger von Silvio Gesells »Gemeinwirtschaft« und Internet- Wahrheitssucher unterwegs. Auch hier dürfen keine Organisations- Kennzeichen (willkommen sind allerdings Palästina-Flaggen) gezeigt werden. Auch hier fühlt man sich gut vertreten von Pedram Shahyar, der zwar angeblich mehrfach dafür gesorgt hat, das Elsässer nicht auftreten konnte, der sich aber problemlos auf Mährholz beruft und mit Jebsen im Doppelpack auftritt. Auch die »Mahnwache Hamburg« hat für die Anti-«Spiegel«-Kundgebung mit einem Video von Jebsen gewor- ben: Dämonisierung des »Spiegel«, Inszenierung der eigenen Person als Vertreter der unbedingten Wahrheit und – weiter hinten im YouTube- Video, wo es dann um Gaza geht – antisemitische Ausfälle. Fazit: In Zeiten, in denen Rechte offensiv versuchen, linke Themen zu besetzen, sind wir gut beraten, genau hinzusehen, mit wem wir uns in eine Reihe stellen, genau hinzuhören, was gesagt wird. Dort, wo – wie für Hamburg belegt – Mikrophone auch einschlägig vorbestraften Neonazis offenstehen, sollten An- tifaschistinnen und Antifaschisten sich fernhalten.  Cornelia Kerth Aktionen zum Altonaer Blutsonntag Erinnern, nicht nur um zu erinnern Montagsmahnwache – eine Chance für die Friedensbewegung? Genau hinsehen und hinhören Am ersten August wurde in Altona an »vier von uns« erinnert, die an diesem Tag vor 81 Jahren als erste Opfer der faschistischen Justiz hingerichtet wurden. Der Gedenkmarsch durch die Straßen Altonas. Im März fanden die ersten »Mahnwachen für den Frieden« statt. The- ma war vor allem die Situation in der Ukraine, von der die Teilnehmen- den befürchteten, sie könnte zum »Dritten Weltkrieg« führen. Schnell kam es zur Gründung eines Dachverbands »Friedensbewegung 2014«, in dem die lokalen Initiativen zusammengeschlossen sind. Was »spon- tan« und »unorganisiert« wirkt, wurde allerdings von Personen initiiert, die entweder selbst rechts verortet sind, wie der Querfront-Stratege Jürgen Elsässer, der AfD-Anhänger mit Sympathien für Nazis Lars Mährholz und der Antisemit Ken Jebsen oder von solchen, die keine Notwendigkeit sehen, sich nach rechts abzugrenzen.

 Gedenkort Lohseplatz

Der Vorplatz des früheren Hanno- verschen Bahnhofs soll mit einem Informations- und Dokumentations- zentrum zum Gedenkort werden. Hier soll an die Schicksale derjenigen erinnert werden, deren Reise zwi- schen 1940 und 1945 nach dem Willen der Nazis eine Reise ohne Rückkehr wurde. 5.848 Jüdinnen und Juden sowie 1.264 Sinti und Roma sind von hier in Ghettos, Kon- zentrations- und Vernichtungslager deportiert worden – in den Tod. Zu Recht, findet Ursula Suhling, ist der ehemalige Bahnhofsvorplatz ein Ort des Gedenkens. Ihre Forde- rung: »An diesen Ort gehört auch die Würdigung der »999er Strafsol- daten« – Hamburger Antifaschisten, die hier ihre Reise ohne Wiederkehr antreten mussten. In ihrem Buch »999er-Strafsoldaten – deportiert vom Hannoverschen Bahnhof. Hamburger Antifaschisten in Wehrmachts-Uniform« beschreibt sie deren Schicksal, zu denen ihr Vater gehörte (antifa Mai/Juni 2014, Länder- beilage, S. 11). Sie nimmt daher die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler beim Wort, die 2012 schrieb: »… wir [sind] in der Verantwortung, das Wissen und Bewusstsein um die damaligen Diskriminierungen, die Deportationen und das Morden in den Konzentrationslagern zu vermitteln. Wir sind dies den nachwachsenden Generationen schuldig.« Die VVN- BdA Hamburg und die Willi-Bredel- Gesellschaft e. V. unterstützen Ursula Suhlings Forderung – weil wir es den nachwachsenden Generationen schuldig sind! Georg Chodinski

Hamburg Hafencity – eine Metropole, mit der die Stadt Maßstäbe setzen will.

Dazu gehören auch die Schattenseiten der Stadtgeschich- te, die hier einen Ort der Erinnerung erhalten sollen: Der Lohseplatz. 2005 eingeweihte Gedenktafel Unter dem Titel »100 Jahre Erster Weltkrieg – Technisierung und Mas- senvernichtung« fanden in diesem Jahr wieder zahlreiche Veranstal- tungen auf dem Friedhof Ohlsdorf statt, um der Opfer der Weltkriege und des Nationalsozialismus zu gedenken und an Verfolgung und Widerstand zu erinnern. Eröffnet wurde das Fest mit einem Vortrag von Ulrich Schneider, Fédé- ration Internationale des Résistants (FIR), zum Thema »Extreme Rechte in Europa und im Europäischen Parlament«, der deutlich machte, wie erschreckend weit alte und neue Nazis vorangekommen sind. Vier Veranstaltungen befassten sich mit dem Ersten Weltkrieg. Besonders beeindruckend war die Lesung aus »Das Menschenschlacht- haus – Bilder vom kommenden Krieg«, das Wilhelm Lamszus be- reits 1912 veröffentlichte. In einer Podiumsdiskussion beschäftigten sich Rita Bake, Sabine Kienitz und Lutz Rehkopf mit der Frage, wie die Gemengelage zwischen Kriegswil- len, Einsatz modernster Technik, Kriegseuphorie und Propaganda im Abstand von 100 Jahren zu bewerten ist. Die südfranzösischen Sänger und Komponisten Coko Corentin und Danito stellten unter dem Titel »Le Cri du Poilu« Friedenslieder aus dem Schützengraben vor, begleitet von Akkordeon und Gitarre. Den Schlusspunkt setzte die szenische Collage zum Ersten Weltkrieg »Wel- tenbrand«, von der man sich noch viele weitere Aufführungen wünschte. Ein weiterer Schwerpunkt war in diesem Jahr das Thema »Widerstän- diges Frauenleben«. Dazu stellte die VVN-BdA 17 Frauen vor, die Aenne Bohne, Lisbeth Bruhn und Marie Prieß nach ihrem Untertauchen im Sommer 1943 unterstützten. Um widerständige, mutige Nein- Sagerinnen, stille Retterinnen und mahnende Zeuginnen ging es auch in dem Beitrag vom »Garten der Frauen e. V.« Der ver.di-Arbeitskreis Antiras- sismus zeichnete die Lebenswege von Käthe Latzke und Lisa Niebank nach. Mit einem kleinen Film erin- nerte die VVN-BdA an Mariechen Schneemann, die die NS-Justiz als »asozial« eingestuft hatte. Damit ist noch nicht einmal die Hälfte der Veranstaltungen genannt, die während des Ohlsdorfer Friedens- festes in diesem Jahr stattgefunden haben. Im Vergleich zum letzten Jahr zeigt sich: Das Bündnis ist noch breiter, die Veranstaltungen sind internationaler geworden und haben an Qualität gewonnen. Das Friedensfest wird auch im nächsten Jahr stattfinden und da- ran erinnern, dass auch 72 Jahre nach dem Hamburger Feuersturm gilt: »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!«.  Ilse Jacob

Am 21. August wurde im Hamburger Rathaus

eine Ausstellung über Zwangsarbeit in Hamburg in den Jahren 1939 bis 1945 eröffnet. Bürgermeister Olaf Scholz begrüßte die Anwesenden. Zugegen waren auch einige ehemalige Zwangsar- beiter aus Polen und der früheren Sowjetunion. Um die 500.000 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen mussten in Hamburg schuften – manchmal zwölf Stunden am Tag, und das bei dürftiger Verpflegung und völlig unzureichender Bekleidung. Die Unterkünfte wurden gezeigt, meist Holzbaracken. In der Ausstellung wurde von einer Frau berichtet, die eine »Suppe« mit angefaulten Steckrüben essen musste, in der schon die Würmer schwammen. Bei Luftangriffen durften diese Menschen nicht in die Bunker. So kam es, dass bei einem Angriff auf die Valvo-Werke in Lokstedt 140 Frauen umkamen. Bei den geringsten Vergehen gab es Strafen, etwa, wenn heimlich ausländische Sender gehört wur- den. Die »Schuldigen« kamen dann ins Arbeitserziehungslager Langer Morgen in Wilhelmsburg, in einigen Fällen auch ins Gefängnis Fuhls- büttel oder ins KZ Neuengamme. Einigen gelang auch die Flucht, sie versteckten sich dann auf dem Land bei Bauern. Nach 1945 galten die Zwangsarbeiter/-innen bei der britischen Besatzungsmacht als »displaced persons« (DP). Für sie wurde ein großes Haus in Wentorf bereitgestellt. Dann wurden sie schrittweise in ihre Heimatländer gebracht. Große Schwierigkeiten gab es in der Sowjetunion. Denn ob bewusst oder unbewusst – sie hatten mit ihrer Arbeit geholfen, den Krieg zu verlängern. Sie galten als Verräter an der sowjetischen Sache und wurden auch so be- handelt. Einige gingen dorthin, wo sie niemand kannte, etwa nach Georgien oder Sibirien. Von einer Frau wurde erzählt, dass sie eine sehr gute Arbeit teils in hoher Position verrichtete, aber nie eine Auszeichnung bekam, weil sie »keine vollwertige Bürgerin der Sowjetunion« sei. Dokumentiert wird der lange Kampf um Entschädigung von den Firmen, die von der Zwangsarbeit profitiert hatten, meist durch meh- rere Instanzen. Irgendwann gab es einen Entschädigungsfonds, in den die Firmen einzahlten. Aber nur wenige Überlebende kamen in den Genuss dieser Gelder, die meisten waren inzwischen verstorben. Überflüssig zu sagen, dass die systematische Aufarbeitung der Schicksale dieser Menschen erst sehr spät in den achtziger und neunziger Jahren begann. Lange galten sie als »vergessene Opfer« des Faschismus. Die Ausstellung schließt mit dem Besuchsprogramm des Hamburger Senats, das im Jahr 2000 ange- laufen ist. Demnächst dürfte es beendet werden, weil die wenigen, die noch am Leben sind, kaum noch reisefähig sein dürften. Die Ausstellung läuft noch bis Mitte September. Der dazugehörige Katalog kostet 5 Euro. Er ist sicher auch nach Ende der Ausstellung in der Gedenkstätte KZ Neuengamme zu haben.  Hans-Joachim Meyer AntifaLS_2014_0910_S. 3-5_HH