Rede am Mahnmal Ohlsdorf

geschrieben von Antje Kosemund

5. Mai 2012

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, liebe Mitstreiter/innen, „Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen“

Diese Worte hat uns der amerikanische Schriftsteller, William Faulkner, hinterlassen. Damit die Erinnerung nicht verloren geht, treffen wir uns hier, am Ehrenmal der Widerstandskämpfer gegen den Deutschen Faschismus, zum Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus. Weil wir an diesem Tag an die Frauen und Männer erinnern wollen, die mutig und beharrlich gegen das Naziregime gekämpft haben, mit dem Wissen, dass sie damit ihre Freiheit und sogar ihr Leben riskieren. Wir erinnern an alle Menschen die während der Jahre der Nazibarbarei der Willkür und Unmenschlichkeit zum Opfer gefallen sind. Wie werden die Verbrechen, die im Namen des Deutschen Volkes in unserem Land, und in den von deutschen Soldaten besetzten Ländern an unzähligen Menschen begangen worden sind, niemals vergessen. Die Antifaschisten, die KZ-und Zuchthausstrafen überlebten, die zu ihren Familien zurückkehren konnten, waren für uns, die damals „Jungen“ Vorbild in ihrem Eintreten für Frieden und Völkerverständigung, in ihren Kampf um eine bessere Welt, für eine Welt ohne Kriege, ohne Rassismus. Mittlerweile sind viele der Frauen und Männer des antifaschistischen Widerstands nicht mehr unter uns, ihr Leben und ihr Wirken bleibt unvergesslich. Die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen, derjenigen die über ihre Erlebnisse noch berichten können, sind kostbar und für das historische Gedächtnis unersetzlich. Bald werden auch si an Gedenktagen wie diesen, nicht mehr dabei sein können. Der Tag der Befreiung steht in diesem Jahr unter dem Motto :

Das Vermächtnis weitertragen! : Das Vermächtnis weitertragen: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! wird an die nächsten Generationen weitergereicht. Diese Forderung wurde in der Öffentlichkeit allzu oft nicht gehört, oder ignoriert. Wer erinnert sich noch an den Neonazi Manfred Röder, der am 22. Mai 1980, zusammen mit einer Komplizin einen Brandanschlag auf ein Asylantenheim verübte. Dabei kamen zwei Vietnamesen ums Leben. Nur wenig später, am 26. September wurden bei einem Sprengstoffanschlag auf dem Münchener Oktoberfest 13 Menschen getötet, 213 Menschen wurden zum Teil schwerverletzt und kamen dabei zu Schaden. Der Täter Gundolf Köhler wurde von der Polizei als Einzeltäter dargestellt. Bis Ende 1980 wurden 20 Morde von Neonazis begangen. Wie notwendig der Widerstand gegen den Neofaschismus bleibt, zeigen die Mord- und Brandanschläge die seit Jahrzehnten von Neonazis verübt worden sind. Oft werden die Verbrechen als Taten verwirrter Einzeltäter verharmlost. Polizei, Justiz und ein Teil der Medien setzen anscheinend auf das kurze Gedächtnis der Bevölkerung. Wer erinnert sich heute noch an die schrecklichen Brandanschläge in Mölln, in Rostock und in Hoyerswerder und daran was dort geschehen ist. Die Mordliste der Neonazis umfasst seit der Zeit mehr als 200 Todesopfer. Viele von Ihnen waren Asylanten und Migrantinnen. Die Untaten der Nazis richteten sich aber auch gegen Menschen mit Behinderungen und gegen Obdachlose. Durch die Ereignisse der letzten Monate mussten wir erfahren, dass eine Bande von Neonazis völlig unbehindert über 13 Jahre mordend durch die Bundesrepublik reisen konnte. Die Mordopfer waren ausnahmslos Männer mit Migrationshintergrund. Da stellt sich die Frage, wie groß ist denn der Ermittlungseifer der zuständigen Beamten gewesen? Selbst nach 14 Banküberfällen kam die Polizei nicht auf die Spur dieser Bande. Die Einzelheiten der Skandale erspare ich uns, wir alle haben die Berichte über das unfassbare Versagen der Polizei und der Leute vom sogenannten Verfassungsschutz zur Kenntnis genommen. Seit voriger Woche soll in Berlin ein Untersuchungsausschuss die ungeheuerlichen Vorgänge aufklären. Dem Ausschuss gehört ein Mitglied der NPD an, da kann man gespannt sein, wie das Ergebnis eines Tages aussehen wird, das der Untersuchungsausschuss dem Parlament vorlegen wird. Es darf bezweifelt werden, ob wir dann die Wahrheit erfahren. Nach einem Bericht im Abendblatt vom 1. Mai diesen Jahres, sollen etwa 130 Spitzel für den Verfassungsschutz in der NPD aktiv sein—etwa 20 sogenannte Vertrauensleute in den Bundes- und Landesvorständen. Der Hamburger Verfassungsschutz soll seit Wochen den Abzug der V-Leute vollzogen und die Zahlungen an sie beendet haben. Jedoch genießen sie immer noch „die Fürsorge des Staates“ wie es im Verfassungsschutzrecht heißt. Was in Hamburg bedeutet, „dass es nach dem Abschalten der V-Leute, zur Überbrückung der Situation sinnvoll sein könnte, eine Art Abfindung zu zahlen“ wie Manfred Murck, der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes dem Abendblatt sagte. Am 2. Juni planen Neonazis einen Marsch durch Hamburg, das Hamburger Bündnis gegen Rechts unterstützt von Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, von Parteien, Schulen und Universitäten und den Fachschaften, von Jugend- und Sportverbänden und Kirchengemeinden, sie und unzählige weitere Gruppen werden den Aufmarsch der Nazis verhindern. In unserer Stadt wollen wir sie nicht, und auch sonst nirgendwo. Dieses sind die Forderungen des Aufrufs gegen Rechts: Die vollständige Auflösung der NPD und aller faschistischen Organisationen. Lückenlose Aufklärung der Mordserie des NSU und der staatlichen Verstrickung. Gegen jegliche Ausgrenzung und Diskriminierung—gleiche Rechte für alle Menschen. Lasst uns gemeinsam dieses Vermächtnis der Überlebenden des Widerstandes weitertragen: Es ist im Schwur von Buchenwald festgehalten, der bis heute nicht erfüllt werden konnte. Er lautet: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel! Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!