Rede von Nicole am 11.Mai 2014

25. Mai 2014

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

ich freue mich, dass wir heute gemeinsam hier sind, um den Tag der Befreiung zu feiern, den Sieg über den Faschismus, die Befreiung der Konzentrationslager, die Befreiung der besetzten Länder.

Der Faschismus, das ist der industrielle Massenmord an Millionen Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti Steffi hat das eben schon deutlich gemacht, was das bedeutet hat – Faschismusmus das ist der organisierte Terror gegen die Arbeiterklasse, die ihre erkämpften Rechte aus der Novemberrevolution verteidigten, Faschismus das ist der Krieg, den die deutschen Faschisten gemeinsam mit den italienischen, japanischen und den Kollaborateuren führten, um die Länder Europas und der Welt zu unterwerfen, die dort lebenden Menschen zu knechten und auszubeuten und die nationalen Reichtümer zu stehlen. Faschismus, das ist die Logik der Vernichtung.

Über 25 Millionen Tote Sowjetbürger, 14 ½ Millionen Tote in China, über 6 Millionen Ermordete in Polen, 6 Millionen Juden aus verschiedenen Ländern die umgebracht wurden, über 4 Millionen KZ-Häftlinge, Deportierte und Zwangsarbeiter, mehr als 1 ½ Millionen Menschen in Jugosslawien, mehr als eine halbe Millionen tote Franzosen, 420.000 Briten, 300.000 US-Bürger. Hundertausende weitere Tote aus den verschiedensten Ländern. Insgesamt mehr als 50 Millionen Tote.

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie ich vor einigen Jahren in Prag war, im Armeemuseum, wo es eine Aussstellung zum Widerstand gab. Nachdem die Partisanen es geschafft hatten, Heydrich zu töten, führte die SS massive von ihnen Vergeltungsaktionen genannte Terrorakte durch. Die Stadt Lidice wurde dem Erdboden gleichgemacht. Und ich selbst Bauingenieurin stand nun in diesem Museum vor der Zeichnung eines deutschen Ingenieurs, der brav und gewissenhaft ausgerechnet hatte, wieviel Schuttmassen anfallen würden, wenn man die ganze Stadt zerstört, wieviel Lastwagen man für den Abtransport braucht oder ob man diese Massen noch planieren könne, ohne eine allzu große Erhöhung der Fläche zu bewirken. Man wollte schließlich keinerlei Erinnerung zurücklassen.Das alles war geplant, durchdacht und gewollt.

Kriege brechen nicht aus, Kriege werden gemacht und in diesen Kriegen gibt es Opfer und es gibt Nutznießer.

Vor wenigen Wochen war ich in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ravensbrück. Von 1939 bis 1945 waren dort 110.000 Frauen, 20.000 Männer und im Konzentrationslager Uckermark mehrere tausende junge Mädchen eingesperrt. Die meisten Gefangenen in Ravensbrück trugen den roten Wimpel als Zeichen der politischen Gefangenen. Rosa Thälmann war eine von ihnen, ebenso Olga Benario, Aenne Saefkow oder Rosa Jochmann, die als Blockälteste vielen Frauen im KZ geholfen hat.

100.000 Menschen wurden in Ravensbrück getötet, das heißt 3 von 4 Gefangenen überlebten das Konzentrationslager nicht. Ich sage bewusst: getötet, weil jede der Frauen, egal ob sie dem Typhus erlag, vor Schwäche bei der Zwangsarbeit zusammenbrach, in der Nähe des Lagers erschossen, in der Gaskammer erstickt wurde, die Mißhandlungen im Zellenbau nicht überlebte, verhungerte oder erfror, keine von ihnen kam einfach ums Leben, jede von ihnen wurde umgebracht.

Nur ein Bruchteil der Mörderinnen und Mörder wurde dafür bestraft. Es gab in Ravensbrück ca. 3500 Angestellte, die als Aufseherinnen und Aufseher, Lagerärzte etc. beschäftigt waren, 3500 die das Funktionieren der Mordmaschine möglich machten. 2 % von ihnen wurden bestraft.

Steffi hat eben schon aus dem Schwur von Buchenwald zitiert. In dem Schwur heißt es auch:

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht.“

Wir haben es nicht vermocht, alle Schuldigen vor den Richter zu bringen. Aber wir können zumindest verhindern, dass die Getöteten ein zweites Mal getötet werden, nämlich dann, wenn sie dem Vergessen anheim gegeben werden.

Ich möchte an dieser Stelle an Ursel Ertel-Hochmuth erinnern, die einen riesengroßen Beitrag dazu geleistet hat, die Geschichte wach zu halten und es der jüngeren Generation, wie mir, ermöglicht hat von den Antifaschistinnen und Antifaschisten zu lesen und zu lernen. Wenn wir unsere Veranstaltungen zum Altonaer Blutsonntag vorbereitet haben, so haben wir immer die Streiflichter aus dem hamburgischen Widerstand zu Rate gezogen. Ich war gerade 18, als ich für meinen Geschichtskurs ein Referat vorbereitete über Frauen im Widerstand. Ich recherchierte ein wenig und fand Lucie Suhlings Der Unbekannte Widerstand , für mich war es damals ein unglaublich wichtiges Buch, das mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet hat. Erst auf ihrer Beerdigung habe ich erfahren, das Ursel auch an diesem Buch ihren Anteil hatte. Gerne hätte ich ihr dafür nochmal gedankt.

Ich möchte noch einmal auf Ravensbrück zurückkommen: Vor dem KZ steht ein Gedenkstein aus DDR Zeiten mit einem Zitat von Anna Seghers:

Sie sind unser aller Mütter und Schwestern. Ihr könntet heute weder frei lernen noch spielen, ja Ihr wäret vielleicht gar nicht geboren, wenn solche Frauen nicht ihren zarten, schmächtigen Körper wie stählerne Schutzschilder durch die ganze Zeit des faschistischen Terrors vor Euch und Eure Zukunft gestellt hätten.“

Anna Seghers auf der Ehrenwand in der Gedenkstätte Ravensbrück

Millionen von Menschen haben ihr Leben gegeben, das Kostbarste, was ein Mensch zu geben hat, um die Befreiung zu erkämpfen. Millionen von Menschen haben gekämpft um den Hitlerfaschismus nieder zu ringen. Ihnen gehört unser Respekt und Dank.

Steffi hat es eben schon gesagt, wir können uns nicht damit begnügen, zu erinnern und zu gedenken.

Die jüngsten Vorfälle in der Ukraine machen dies nur allzu deutlich. Am 2. Mai wurden in Odessa Gewerkschafter, Linke und Kommunisten von den Faschisten der Swoboda und des Rechten Sektors, von der Straße gedrängt. Sie suchten Schutz im Gewerkschaftshaus, dass dann von den Faschisten in Brand gesetzt wurde. Das erinnert uns an die Kriegsführung der Nazis gegen die Sowjetunion, wo die Menschen der überfallenen Dörfer und Städte in Scheunen getrieben und dann angesteckt wurden.

Momentan sind wir zu schwach, um diesen Kräften die entsprechende Gegenwehr entgegen setzen zu können. Aber wir sind nicht zu schwach um zu kämpfen.

Wenn wir eines von den Widerstandskämpferinnen und den Widerstandskämpfern lernen können, so ist es dies: niemals aufgeben! Sie haben gehadert, sie haben gezweifelt, sie hatten Angst und trotzdem haben sie gekämpft, weil es die einzige Möglichkeit war, Mensch zu bleiben.

Unsere Verantwortung ist es, stärker zu werden, uns zu organisieren.

Wer von den hier anwesenden ist unter 30?B

Wer ist heute zum ersten Mal auf dieser Kundgebung?

Da sehen wir schon zwei Probleme: wir brauchen mehr junge Leute und wir brauchen neue Leute, Menschen, die wir gewinnen müssen.

Im Moment überrollen uns die Ereignisse, aber wir dürfen uns davon nicht kopflos machen lassen. Wir müssen weiter arbeiten, beharrlich, unbeirrbar, an den Tages Fragen und an unserer Zukunft.

Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen können, eine neue Welt aufzubauen, eine Welt ohne Krieg und ohne Faschismus, eine Welt in der der Mensch dem Mensch Bruder und Schwester ist.

Lasst uns zusammen dafür streiten!