Rede von Traute Springer-Yakar auf der Kundgebung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten am 7. Mai 2017 anlässlich des 72. Jahrestages der Befreiung von Faschismus und Krieg

14. Mai 2017

Heute vor 72 Jahren minus einem Tag wurde Deutschland, Europa, die Welt durch die Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition vom Hitler-Faschismus befreit.

Heute, vor 72 Jahren und 18 Tagen legten befreite KZ-Häftlinge auf dem Appellplatz in Buchenwald die Grundlage dafür, dass wir heute hier stehen, sie legten den Schwur ab, den wir heute den Schwur von Buchenwald nennen.

Vor 70 Jahren wurde zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den vier Besatzungszonen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes von Überlebenden des Hitler-Faschismus gegründet

Die Befreiung im Mai 1945 hatte den meisten von ihnen das Leben gerettet, nur wenige von ihnen hätten die nächsten Monate überlebt. Der Schwur von Buchenwald wurde die Grundlage, der Konsens, auf der sich die aus den unterschiedlichsten politischen, religiösen und philosophischen Lagern stammenden Antifaschisten einigen konnten und auf der unsere VVN-BdA bis heute aufbaut, auf den wir uns als VVN bis heute beziehen.

Ich finde, wir sollten uns den Schwur von Buchenwald einmal in Langfassung anhören:

 

Ansprache in französischer, russischer, polnischer, englischer und deutscher Sprache auf der Trauerkundgebung des Lagers Buchenwald am 19. April 1945.

Kameraden! Wir Buchenwalder Antifaschisten sind heute angetreten zu Ehren der in Buchenwald und seinen Aussenkommandos von der Nazibestie und ihrer Helfershelfer ermordeten 51.000 Gefangene!

51.000 erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespitzt

51.000 Väter, Brüder, Söhne starben einen qualvollen Tod, weil sie Kämpfer gegen das faschistische System waren.

51.000 Mütter und Frauen und hunderttausende Kinder klagen an!

Wir lebend gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten sahen in ohnmächtiger Wut unsere Kameraden fallen. Wenn uns eins am Leben hielt, dann war es der Gedanke: Es kommt der Tag der Rache!

Heute sind wir frei!

Wir danken den verbündeten Armeen, der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen. Wir gedenken an dieser Stille des grossen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt. F. D. Roosevelt – Ehre seinem Andenken!

Wir Buchenwalder,

Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slovaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslaven und Ungarn

kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung.

Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht – der Sieg muß unser sein!

Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende.

* Noch wehen Hitlerfahnen! * Noch leben die Mörder unserer Kameraden! * Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!

Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Apellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:

Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!

Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.

Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach:

WIR SCHWÖREN!

 

Ihr habt‘s gehört: Wir Buchenwalder Antifaschisten Es kümmerte sie damals, zumindest an diesem Tage nicht, ob sie Kommunisten waren oder Zeugen Jehovas, Sozialdemokraten oder Liberale, aus dem Widerstand der Kirchen stammten, ob sie den roten, lila, rosa, grünen, schwarzen oder den braunen Winkel der Sinti und Roma trugen, sie waren überlebende Verfolgte des NS-Regimes. Eugen Kogon zum Beispiel, Buchenwald-Häftling von 1936-1945 stammte aus dem katholischen Widerstand, schrieb noch 1945 das Buch „Der SS-Staat“, das bis heute eins der Standardwerke über die NS-Verbrechen ist. In den 60ern war er einer der ersten Leiter des ARD-Politmagazins Panorama.

 

Wir wissen, dass diese Einheit der Antifaschisten auf dem Appellplatz des KZ Buchenwald nicht hielt. Wir kämpfen immer noch gegen alte und neue Faschisten und nur die reichen Industrienationen sind vom Krieg auf ihrem eigenen Staatsgebiet befreit. Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, diese Einheit der Antifaschisten immer und überall anzustreben und einzufordern. Gerade durch die Vielfalt der Zugänge zum Antifaschismus können wir Argumente entwickeln in der Abwehr des Rechtspopulismus.

 

 

Wir brauchen alle Antifaschisten und wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, wonach lange Zeit viele NS-Opfergruppen ausgeblendet und vernachlässigt wurden.

Heute sind zum Glück fast alle sozialen Tabus der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg durch die Weiterentwicklung der Demokratie und des   gesellschaftlichen Diskurses aufgehoben worden. Projekte wie die Projektgruppe für die vergessenen Opfer des NS-Regimes haben sich auf diesem Gebiet sehr große Verdienste erworben.

 

Wir sollten mit unseren Freunden und Bündnispartnern sorgsam und mit Respekt umgehen und gerade deshalb mit Bestimmtheit Bestrebungen begegnen, den Antifaschismus einseitig zu definieren. Mein persönlicher Zugang zum Antifaschismus ist ganz entschieden vom Antikapitalismus geprägt, jedoch würde ich mich immer dafür einsetzen, dass meine Organisation und die Bündnisse, zu denen ich Zugang habe, alle Antifaschisten willkommen heißt, denn für den Zugang zum Antifaschismus gibt es keinen Königsweg.

 

Es ist schlimm genug, dass   wir all diese Menschen an den Hitlerfaschismus verloren haben.

 

Wie oft habe ich mich damals als Jugendliche gefragt, wie es denn gewesen wäre, wenn all diese Opfer der faschistischen Diktatur, die ermordeten Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, überlebt hätten, so dass nicht nur der steinerne Druck der ewig Gestrigen meine Kindheit und Jugend in den 50er Jahren bestimmt hätten, sondern Mut und Geist, Freundschaft und Musik, Kreativität und Solidarität dieser Menschen, die ich allerhöchstens von Bildern und aus Büchern kenne. Sie fehlen mir, ich weiß, dass sie mir fehlen. Und ich finde, eigentlich müsste es jeder und jedem der nachfolgenden Generation genauso gehen, wenn sie auch nur ansatzweise darüber nachdenken und -fühlen.

 

Es mag schwächlich anmuten, dass ich hier keine Lösungen anbiete, sondern mich auf längst bekannte Paradigmen und Metaphern berufe. Der Schwur von Buchenwald aber ist zeitlos, er wird noch lange zentral für die Arbeit aller Antifaschisten sein. Denn die vor 72 Jahren und 18 Tagen auf dem Appellplatz in Buchenwald versammelten Antifaschisten haben erfahren und an uns weitergegeben:

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.