Rede zur Gedenkveranstaltung zur Befreiung vom Faschismus

19. Mai 2015

 

10.Mai 2015 Friedhof Ohlsdorf/Mahnmal für die Opfer des Faschismus

 

Gedenkveranstaltung zur Befreiung vom Faschismus

10.Mai 2015 Friedhof Ohlsdorf/Mahnmal für die Opfer des Faschismus

 

Der 8. Mai 1945 war zunächst der Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Sie besiegelte die militärische Zerschlagung des deutschen Faschismus als Voraussetzung für die Befreiung von Nazi-Terror, Holocaust und Krieg.

 

Gestern haben wir diesen Tag der Befreiung gefeiert und dabei eine kleine Bilanz gezogen:

Wir haben uns die Hoffnung der Befreiten, die Sicht des Widerstands, der Opfer und der Befreier in Erinnerung gerufen.

Wir haben gefragt, was aus der Hoffnung auf Gerechtigkeit, auf die Bestrafung der Täter, auf die Entschädigung der Opfer, die Anerkennung des Leids geworden ist, und was noch zu tun bleibt, damit die neue Welt des Friedens und der Freiheit Wirklichkeit wird.

 

Schon am Freitag haben wir daran erinnert, dass der Faschismus nicht über Nacht kam, dass jede und jeder dazu hat Stellung beziehen können und müssen. Man hatte die Wahl.

Wir haben an die erinnert, die sich für den Widerstand entschieden haben, den es in allen besetzten Ländern und unter allen möglichen Bedingungen gegeben hat, auch in Deutschland, auch in Hamburg.

 

Heute gilt unsere Erinnerung den Opfern.

Die Urnen des Mahnmals, an dem wir uns eingefunden haben, enthalten Asche und Erde aus mehr als 100 Konzentrations- und Vernichtungslagern. Sie stehen stellvertretend für mehr als 55 Millionen Menschen, die Opfer des deutschen Faschismus geworden sind.

Wir dürfen nie vergessen, dass der Holocaust nur möglich war durch den Vernichtungskrieg im Osten. Die Krematorien der Vernichtungslager arbeiteten genau so lange wie die Front hielt.

 

Die Opfer hatten keine Wahl.

Sie wurden verfolgt und ermordet als Jüdinnen und Juden, Sinti oder Roma.

Sie waren Bewohner_innen von Städten, die bombardiert und von Dörfern, die verbrannt wurden.

Sie fielen als Soldaten, die ihr Land gegen den Invasor verteidigten, sie waren Kriegsgefangene, die zu Millionen verhungerten oder als sowjetische Offiziere und Unteroffiziere erschossen wurden.

Sie gehörten zu den Millionen Menschen, die als Zwangsarbeiter_innen nach Deutschland verschleppt worden waren.

 

Die Täter hatten eine Wahl.

Sie trafen ihre Entscheidung für eine mörderische Ideologie der Ungleichheit und – daraus abgeleitet – der Ungleichwertigkeit von Menschen und ihres Lebensrechts, die in Deutschland auf eine lange Tradition zurückgeht.

 

Sie hat ihre Wurzeln in der Abwehr der Ideen der französischen Revolution.

An die Stelle von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit traten Obrigkeitsstaat , Untertanengeist und „Volksgemeinschaft“.

Die deutsche Nation entstand nicht wie die französische durch die Verallgemeinerung von Rechten, sondern war definiert durch Ausgrenzung und von Anfang an durch geifernden Antisemitismus.

 

Fast ebenso lang reicht allerdings auch die Tradition der revolutionären Idee: vom Mainzer Jakobinerclub über Marx und Engels bis zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

 

1918 haben einfache Soldaten sich dafür entschieden und die richtige Konsequenz gezogen als sie in der deutschen November-Revolution den ersten Weltkrieg beendet haben.

 

Für die „Eliten“ hingegen, für die Monarchisten und Junker, für die Ruhrbarone und Banker, für die Militärs, stand sofort nach dem gescheiterten ersten Griff nach der Weltmacht die Revision der Kriegsergebnisse auf der Tagesordnung.

 

Sie erfanden den Mythos des „im Felde unbesiegten“ Heeres, das von einem angeblichen „inneren Feind“ zu Fall gebracht wurde, die „Dolchstoß“-Legende. Bei unserem Stadtrundgang am Freitag haben wir an Hitlers Rede vor dem Übersee-Club erinnert, in der er von 15 Millionen Menschen ohne jedes Nationalgefühl sprach, die man ausschalten müsse, weil sie dem Aufstieg Deutschlands zur Weltmacht im Wege stünden.

Auch der unsägliche Begriff vom „Jüdischen Bolschewismus“ war schon am Ende des ersten Weltkriegs entstanden.

Und natürlich wurde auch damals schon Deutschland als Opfer des Versailler Vertrags inszeniert.

 

Die Organisationen der Arbeiterbewegung, besonders die Kommunisten, wussten deshalb schon früh, „wer Hindenburg wählt, wählt Hitler – wer Hitler wählt, wählt den Krieg“.

Dass sich die Deutschen doch für Hindenburg, Hitler und den Krieg entschieden, bezahlten mehr als 55 Millionen Opfer mit ihrem Leben.

 

Anders als die überlebenden Verfolgten und Widerstandskämpfer es gehofft hatten, gab es 1945 keinen endgültigen Bruch mit der Tradition, die dem Faschismus zugrunde lag.

 

Die Täter wurden – mit wenigen Ausnahmen – nicht bestraft. Kaum einer der NSDAP-Funktionäre, Folterknechte, Kriegsverbrecher, SS-Schergen wurde je angeklagt.

Für die Remilitarisierung der Bundesrepublik wurde das Oberkomando der Wehrmacht reaktiviert, alte Nazis fanden sich bei der Polizei, bei BND und Verfassungsschutz, in Justiz und Verwaltung, in Schulen und Universitäten und im diplomatischen Dienst wieder.

 

Es gab keine Zerschlagung der Konzerne, die von Arisierung und Holocaust, vom Vernichtungskrieg und von millionenfacher Zwangsarbeit profitiert hatten. Bis heute gibt es Opfer in Deutschland und vor allem in den vom faschistischen Deutschland besetzten und ausgeplünderten Ländern, die nie entschädigt wurden.

 

Auch der Antikommunismus lebt in dieser Gesellschaft ungebrochen fort. Er ist die Grundlage der zur Staatsdoktrin gewordene Totalitarismus-Theorie.

 

Und diese ermöglicht es, dass die NPD bis heute nicht verboten ist, dass der bayrische Verfassungsschutz gar so weit geht zu behaupten, die VVN-BdA verstoße nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern gar gegen die Menschenrechte, wenn wir darauf bestehen, dass Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist.

 

Dabei gibt es längst neue Opfer: fast 200 Menschen wurden in den letzten 25 Jahren Opfer faschistischer Gewalt. Sie erschlagen, erstochen oder  erschossen wie die Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Noch ein halbes Jahr bevor der zufällig entdeckt wurde, hieß es im VS-Bericht, dass es keine Hinweise auf rechts-terroristische Organisationen gebe.

 

Gerade in der letzten Woche wurde nun eine neue terroristische Zelle entdeckt. Und ein Hamburger Steuerbeamter zündet eine Unterkunft für Flüchtlinge an und denkt, er tut etwas „Gutes“, wenn er armen Menschen das Dach über dem Kopf abfackelt und seine Nachbarin erzählt der Presse ungerührt, sie finde, man sollte da „einen Schlauch reinlegen“.

 

Solche Haltungen gedeihen in einem Klima der verallgemeinerten Konkurrenz:

Konkurrenz um den Arbeitsplatz,
Konkurrenz um den Zugang zu der öffentlichen Infrastruktur, die ein „schlanker Staat“ noch anbietet, weil weniger Steuern für Konzerne und Reiche eben auch weniger öffentliche Investitionen bedeuten,
und natürlich der Wettbewerb um Rohstoffe, Märkte und die billigste Arbeitskraft. Deutschland ist „Exportweltmeister“ und will Weltmacht werden.

 

Konkurrenz bestimmt das Verhältnis zwischen Staaten und das der Menschen zueinander. Beides schafft die Armut und die Kriege, aus denen Menschen fliehen, die dann hier so herzlich unwillkommen sind.

 

Faschisten fühlen sich in diesem gesellschaftlichen Klima als konsequente Vollstrecker   eines vermuteten Volkswillens.

 

Dem müssen wir als Antifaschistinnen und Antifaschisten auch begegnen, indem wir die sozialen Rechte der arbeitenden und arbeitslosen Menschen verteidigen. Dafür brauchen wir starke Organisationen, Parteien und vor allem Gewerkschaften.

 

Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen, und  auch heute noch und wieder fordern, dass Opfer faschistischer Gewalt entschädigt und Täter bestraft werden.  Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und damit wird klargestellt, dass Faschismus eben keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist.

 

Wir müssen eintreten für die Verteidigung der Menschenrechte und der Bürgerrechte, für internationale Solidarität und für offene Grenzen in der globalisierten Welt.

 

Wenn wir das schaffen, haben wir einen ersten wichtigen Schritt gemacht in Richtung auf die neue Welt des Friedens und der Freiheit, in der Faschismus und Krieg der Vergangenheit angehören.

 

Cornelia Kerth